Virgil Flowers 03 - Bittere Suehne
dann noch einmal Zoes Nummer, um ihr zu sagen, dass jemand zu ihr unterwegs sei. Anschließend setzte er sich mit der Gerichtsmedizin in Verbindung.
»Sie war weder betrunken noch bekifft«, erklärte der Mann dort. »An ihrer Stirn befindet sich eine ausgefranste Eintrittswunde, die Sie bestimmt gesehen haben …«
»Ja …«
»Wahrscheinlich von einem.223er. Sicher werden wir das erst wissen, wenn wir eine Kugel dazu haben.«
»Danke.«
Das.223er gehörte zu den beliebtesten Waffen im Staat, gleiches Kaliber wie die gegenwärtig vom Militär verwendeten Sturmgewehre, schwacher Rückstoß, relativ billige Munition, hohe Treffsicherheit. Jetzt musste er nur noch das Gewehr finden, am besten mit Fingerabdrücken, und einen genauen Plan des Tatorts.
Wenn die Mörderin in Zoes Haus eingedrungen war, dachte Virgil, stammte sie aus der Gegend um Grand Rapids. Sie müsste über den örtlichen Klatsch informiert sein, um zu wissen, dass Zoe mit Virgil gesprochen hatte.
Erica McDill hatte in einem Viertel mit Prachtvillen, ruhigen Vorortstraßen, großen Gärten, hohen Bäumen und Swimmingpools gewohnt, in einem niedrigen Gebäude mit Flachdach aus der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts, ein hässliches Ding aus Stahl und Glas, jedoch vermutlich architektonisch wertvoll. Die Auffahrt, die sich darum herumwand, endete vor einer Garage für vier Autos. Lane vom Spurensicherungsteam ließ Virgil ins Haus. Das Innere war von den Teppichen bis zur Deckenfarbe von einem Profi gestaltet.
Ruth Davies saß mit Erica McDills Vater inmitten von Papieren auf dem Boden des Wohnzimmers.
Virgil nahm sich Davies als Erste vor, ohne etwas Neues herauszufinden. Sie war so aufgeregt, dass es ihm auf die Nerven ging. Am Ende verschwand sie in die Küche, um etwas mit Erdnussbutter zu backen.
Erica McDills Vater Oren wirkte beim Betrachten der Unterlagen, die das Leben seiner Tochter zusammenfassten, verzweifelt, niedergeschlagen und erschüttert. Er war groß, schlank, hatte kurz geschnittene graue Haare, trug eine schlichte Brille mit Goldrand sowie ein T-Shirt und Jeans. Er sagte, seine Tochter habe ein Testament hinterlassen; er sei als Vollstrecker eingesetzt.
»Ich gebe Ihnen eine Kopie, sobald ich an mein Schließfach komme«, versprach er und deutete auf die Papiere. »So war das nicht geplant. Nun mache ich das, was sie für mich hätte tun sollen.«
Erica McDills Mutter lebe mit ihrem zweiten Mann in Arizona; sie und ihre Tochter hätten kein enges Verhältnis gehabt, berichtete Oren.
»Das hängt mit der Scheidung zusammen. Wir haben uns getrennt, als Erica auf der Highschool war. Sie konnte es nicht fassen, dass ihre Mutter uns beide einfach im Stich lässt. Mae wollte ihre Freiheit und keinen Ehemann -jedenfalls damals nicht – und kein Kind. Das hat sie uns gesagt. Erica hat das nicht verkraftet.«
»Ich möchte wirklich nicht …« Virgil sah sich um. Sie saßen in einem Wintergarten, ohne Ruth Davies, die sie von irgendwoher vor sich hin plappern hörten. »Ich möchte wirklich nicht blöd rüberkommen, aber ich muss Sie fragen: Wird Ericas Mutter etwas erben?«
Oren McDill schüttelte den Kopf. »Keinen Cent.«
»Und Ruth?«
»Ruth kriegt hunderttausend Dollar.«
»Nicht schlecht … Sie dachte, sie bekommt nichts«, sagte Virgil.
McDill runzelte die Stirn. »Ich glaube schon, dass sie von dem Erbe wusste. Haben Sie sie gefragt?«
»Ja, aber vielleicht habe ich mich nicht klar ausgedrückt«, antwortete Virgil.
»So steht es seit drei Jahren im Testament«, erklärte McDill. »Erica hat es, sobald sie CEO wurde und deutlich mehr verdiente, abändern lassen. Schwer zu glauben, dass sie darüber nicht gesprochen haben.«
Das Team der Spurensicherung unter Leitung von Stacy Lowe war fast fertig mit dem Haus, in dem es sich Telefonrechnungen, Kalender, Computer und alles, was auf den Mörder hindeuten könnte, angesehen hatte.
Virgil fragte Stacy Lowe: »Sind Sie mit Ruth Davies’ Zimmer fertig?« Er wusste, dass die Frauen getrennte Schlafzimmer gehabt hatten.
»Ja. Interessieren Sie sich für etwas Bestimmtes?«
»Ich würde mir gern ihre Schuhe ansehen …«
Während Stacy Lowe Ruth Davies beiseitenahm, schlüpfte Virgil in Ruths Zimmer und warf einen Blick in den Schrank. Darin befanden sich neun Paar Schuhe, keine von Mephisto. In Erica McDills Zimmer waren etwa zwanzig Paar Schuhe, darunter auch eins von Mephisto. Er ging zurück zu Stacy Lowe.
»Nehmen Sie sich die Schuhe vor. Die Kollegen
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