Virgil Flowers - 04 - Blutige Saat
Sahneschnittchen.«
Die zweite: »Ich wünschte, ich könnte dich begleiten. In der Highschool könnte ich fast normal sein. Du bist so ziemlich der einzige Außenstehende, der weiß, wie einsam es sein kann.«
Die dritte: »Geht nicht: Hab Liberty.«
Die dritte Nachricht war die letzte Mail von Kelly vor ihrem Tod.
Alle Mails wirkten belanglos: keine Flirts, nicht die geringsten Meinungsverschiedenheiten. Irgendetwas fehlte – vermutlich hatte Tripp es gelöscht. Die »Sahneschnittchen« -Nachricht erschien Virgil wie der Hinweis darauf, dass Kelly Baker über Tripps Homosexualität Bescheid wusste. Offenbar äußerte sie sich über jemanden, den Tripp attraktiv fand.
»Geht nicht: Hab Liberty.« Im Rucksack war das Blatt Papier mit der Zeichnung der Freiheitsstatue, der Statue of Liberty. Bestand da eine Verbindung? Handelte es sich um eine Person oder einen Ort?
Konnten die Computerspezialisten die gelöschten Mails reaktivieren? Einen Versuch war es wert.
Virgil überflog die übrigen Mails, die den anderen ähnelten: wo man sich treffen wolle, Vorschläge für Unternehmungen, Bericht über einen Familienausflug zur MOA, der »Mall of America«, dem großen Einkaufszentrum in den Twin Cities.
Hmm.
Virgil öffnete den Verlauf: nichts, kein einziger Eintrag. Die Aufzeichnungen über Tripps Website-Besuche wurden täglich gelöscht.
Dafür waren aber Hunderte von Cookies von den Websites verzeichnet, die Tripp aufgesucht hatte. Virgil ging die Liste durch: Sport- und schwule Pornoseiten.
Keine Überraschung.
Virgil kam eine Idee: Was, wenn Flood herausgefunden hatte, dass Tripp schwul war, sich über ihn lustig gemacht oder ihn bedroht, vielleicht sogar angemacht und Tripp aus Wut zugeschlagen hatte?
Nein: Tripp hatte den Baseballschläger von zu Hause mitgenommen und war mit dem Vorsatz, Flood umzubringen, in die Arbeit gegangen.
Außerdem waren es für ein solches Szenario zu viele Tote.
Und wie passte eine Frau als Mörderin in die Geschichte?
Virgil sah sich weiter in dem Zimmer um, ohne sich wirklich interessante Erkenntnisse zu erhoffen: Tripp hatte seine Spuren verwischt.
Nach weniger als einer Stunde kehrten die Tripps zurück. Virgil, der auf dem Bett saß und überlegte, was ihm bei der Durchsuchung des Zimmers entgangen war, hörte sie hereinkommen, stand seufzend auf, nahm das Handy und den Computer und trat auf den Flur, um sie zu begrüßen.
»Haben Sie was gefunden?«, erkundigte sich George Tripp.
»Ich weiß es nicht – ich werde den Computer tatsächlich einbehalten müssen. Ihr Sohn stand in regem E-Mail-Kontakt mit Kelly Baker, bis zu ihrem Tod. Sie schienen sich ziemlich nahe zu sein …«
»Sie haben das Passwort herausbekommen?«
»›Mustangs‹«, teilte Virgil ihm mit, und George Tripp schmunzelte ein wenig.
»Wie nahe waren sie sich?«, fragte Irma. Es wirkte, als wollte sie hören, dass Bobby Tripp und Kelly Baker miteinander geschlafen hatten. Irma schien zu ahnen, dass ihr Sohn schwul gewesen war.
»Nahe. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Ich habe keinerlei Hinweise auf Aggression gefunden und glaube nicht, dass Ihr Sohn ihr in irgendeiner Form wehgetan hat.«
»Natürlich nicht«, sagte George Tripp. »Es war dieser verdammte Flood oder Crocker oder beide.«
»Wir werden das herausfinden«, erklärte Virgil.
Er bat die Tripps, die Liste der Anrufer von Bobbys Handy durchzugehen. Sie identifizierten alle Personen auf der Liste einschließlich Sullivan, der ihren Sohn ihrer Aussage nach ein halbes Dutzend Mal interviewt hatte.
»Bobby hatte das Zeug zum College-Star. Aus ihm hätte was werden können«, sagte George Tripp, und in seinen Augen glitzerten Tränen.
Auf dem Weg ins Motel warf Virgil die Joints aus dem Fenster – sie waren biologisch abbaubar – und das Plastiktütchen in den Abfall. Davon mussten Tripps Eltern nichts erfahren. Vom Motel aus rief Virgil Lee Coakley an, um ihr von der Durchsuchung des Zimmers zu berichten, von Tripps Beziehung zu Kelly Baker und von dem »Liberty« -Zettel.
»Klingt ganz so, als würden Sie vorankommen«, lautete Lees Kommentar. »Ich bin morgen früh mit meinen zwei weiblichen Deputies verabredet. Obwohl ich weiß, dass sie nichts mit der Sache zu tun haben, werde ich sie befragen. Das schadet meiner Beliebtheit, aber daran lässt sich wohl nichts ändern.«
»Sie haben noch vier Jahre als Sheriff vor sich. Wenn Sie den Fall lösen, ist alles vergeben und vergessen«, sagte Virgil.
»Nach dem Gespräch
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