Virgil Flowers - 04 - Blutige Saat
»Allerdings spielt ein Rouse in unseren Ermittlungen bisher noch keine Rolle.«
Rich wirkte enttäuscht. »Gehen Sie meinem Hinweis trotzdem nach. Ich habe das Gefühl, da läuft was.«
Jacoby brachte die Pfannkuchen. »Hallo, Rich. Hast du den Fall gelöst?«
»Möglich«, antwortete Rich und schlüpfte aus der Nische. »Ich muss los, in die Arbeit. Denken Sie drüber nach«, fügte er an Virgil gewandt hinzu. »Ich glaube, es könnte wichtig sein.«
»Worum ging’s?«, fragte Jacoby, als Rich zur Tür hinaus war.
»Ach, nur wieder einer, der helfen möchte.«
Jacoby senkte die Stimme. »Unter uns: Das ist der Dorftrottel.«
Virgil holte Lee Coakley von zu Hause ab, einem hübschen Holz-Ziegel-Bau aus den Sechzigern. Sie erwartete ihn an der Tür, bat ihn herein und ging ihm voran durch eine Küche, in der es nach Toast, Erdnussbutter und Marmelade roch, zu einem winzigen Arbeitszimmer.
»Ich habe Harvey Loewes Haus über Google gefunden«, erklärte sie und betätigte die Maus. Auf dem Bildschirm erschien eine Satellitenaufnahme. »Er wohnt in der Twentieth Street, unten im Südwesten.« Sie vergrößerte den Ausschnitt und tippte mit der Fingerspitze auf den Monitor. »Hier.«
Das Foto war im Sommer aufgenommen worden, am frühen Morgen. Loewes weißes Haus hob sich klar von den umgebenden grünen Feldern ab.
»Kein Garten«, stellte Virgil fest. »Und keine Nebengebäude.«
»Es ist wie bei Crocker, ein altes Farmhaus. Manche werden von der Feuerwehr aus Sicherheitsgründen niedergebrannt, andere sind gar nicht so übel. Mit ein bisschen handwerklichem Geschick kann man durchaus drin wohnen. Und dieses Geschick besitzen die meisten Farmerjungs.«
»Seine Eltern wohnen auch da in der Gegend«, sagte Virgil. Jenseits der Straße konnte er nichts entdecken, doch östlich und westlich von Loewes Haus standen einzelne Gebäude, die bewohnt zu sein schienen. »Mir wär’s recht, wenn sie nicht erfahren, dass wir mit ihrem Sohn reden, okay?«
Auf dem Weg hinaus erzählte Virgil Lee von seinem Gespräch mit Sullivan.
»Vertrauen Sie ihm?«, fragte Lee Coakley.
»Nicht ganz. Er scheint okay zu sein, aber er ist Reporter, und Reporter sind von Natur aus link. Obwohl ich mir nicht vorstellen kann, warum er uns reinlegen sollte.«
»Vielleicht hatte er eine sexuelle Beziehung mit Tripp, über die er lieber nicht reden möchte«, mutmaßte Lee. »Wenn sich das herumspräche, könnte er Probleme kriegen. Zum Beispiel mit seinem Freund.«
»Möglich. Allerdings wüsste ich nicht, wie uns diese Erkenntnis weiterbringen sollte. Tripp war meiner Ansicht nach eins der letzten Glieder einer Kette, was bedeutet, dass Sullivan noch weiter vom Kern der Sache entfernt ist. Und an diesen Kern müssen wir ran.«
Loewe verklebte seine Küchenfenster gerade mit Plastikfolie. Als er sie bemerkte, ging er zur Tür. Sie erklärten ihm den Grund ihres Besuchs, und seine Mundwinkel sanken herab.
»Ich weiß zwar nicht, wie ich Ihnen helfen kann, aber kommen Sie rein.«
Er hatte Ähnlichkeit mit Abraham Lincoln, war groß und hager, hatte knochige Schultern und Hände und große, viereckige, leicht gelbe Zähne. Seine Haare waren so lang wie die von Virgil, und er trug eine Hochwasserhose, ein lilafarbenes Baumwollhemd und Halbschuhe.
»Ich verklebe die Fenster, weil das Haus null isoliert ist. Im Speicher hab ich vierzig Zentimeter Fiberglas eingezogen, Und wenn die Fenster verklebt sind, kann ich hier wenigstens heizen, ohne pleitezugehen.«
»Wollen Sie das Haus kaufen?«, fragte Lee Coakley.
»Eher nicht. Nach dem nächsten Herbst möchte ich in die Twin Cities ziehen und weiterlernen.«
»Gute Idee«, sagte Lee Coakley. »Welche Fächer?«
»Kunst, an der Uni. Ich male, wenn’s nicht zu kalt dazu ist. Also: Wie kann ich Ihnen helfen, und warum gerade ich?«
»Wir ermitteln in den Mordfällen Flood, Tripp und Crocker. Und Kelly Baker.«
Er hob die Augenbrauen. »Sie stehen miteinander in Verbindung?«
»Das versuchen wir gerade rauszufinden«, sagte Virgil. »Wir haben gehört – woher wir die Informationen haben, behalten wir für uns, und das würden wir auch bei Ihnen machen –, dass Sie mit Kelly Baker und Bobby Tripp befreundet waren.«
Loewe lehnte sich ein wenig zurück und schwieg eine Weile, bevor er sagte: »Ja, das stimmt. Die Leute von der Polizei in Iowa haben mich befragt, sind aber nicht weitergekommen.«
»Wir nähern uns dem Fall aus einer anderen Richtung«, erklärte Virgil.
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