Virgil Flowers - 04 - Blutige Saat
Mann und hob das Huhn hoch. »Ich habe zu tun.«
»Wer sind Sie?«
»Wally Rooney … Ich helfe Alma auf der Farm.«
»Das ist nett von Ihnen. Ich möchte mich sowieso unter vier Augen mit Mrs. Flood unterhalten, also …«
»Sie hat doch Anspruch auf einen Anwalt, oder?«, fragte Rooney.
»Ja, klar. Aber ich hätte nicht gedacht, dass sie einen braucht. Wenn sie einen möchte, müssten wir sie ins Sheriffbüro bringen … Es wäre einfacher, wenn wir nur ein bisschen plaudern.«
Rooney hob wieder das Huhn hoch, was Virgil als Zustimmung deutete. »Wenn sie nicht mit mir allein sprechen will, kann ich ihr gern einen Anwalt besorgen, der bei dem Gespräch dabei ist«, sagte er. »Denn an dem Gespräch führt kein Weg vorbei.«
Helen begrüßte Virgil an der Tür mit einem Lächeln, einem Augenzwinkern und einem »Sie schon wieder«. Das Zwinkern erstaunte ihn. Vielleicht hatte die Zwölfjährige sich das von einem alten Film abgeguckt, dachte er. Da hätte man das als Anmache bezeichnet.
Interessant.
Er folgte ihr ins Haus, und sie rief: »Mr. Flowers ist wieder da.«
Offenbar hatten sie über ihn gesprochen.
Alma Flood saß mit genauso finsterem Gesicht wie bei seinem ersten Besuch in einem Schaukelstuhl, die Bibel auf der Armlehne. »Mein Vater ist nicht da …«
»Ich wollte mit Ihnen reden«, erklärte Virgil und sah das Mädchen an. »Unter vier Augen.«
Alma Flood sagte zu ihrer Tochter: »Geh und schau mit deiner Schwester fern.«
Das Mädchen nickte und verschwand nach oben.
»Spendet die Bibel Ihnen Trost?«, fragte Virgil. »Ich schöpfe in schwierigen Zeiten Hoffnung daraus.«
»Sie lesen in der Bibel?« Alma klang skeptisch.
»Ja, schon mein ganzes Leben lang. Mein Vater ist lutherischer Geistlicher in Marshall. Aber man muss die richtigen Abschnitte wählen. Halten Sie sich an die Psalmen und meiden Sie Salomo und die Propheten.«
Sie nickte. »Den dreiundzwanzigsten Psalm habe ich mindestens hundertmal gelesen, und ich muss sagen: Viel Trost spendet er mir nicht.«
»Man hat ihn zu oft bei Beerdigungen gehört; er stimmt einen traurig«, erklärte Virgil.
»Mag sein«, sagte sie, nahm die Bibel und legte sie auf den Boden neben dem Stuhl. »Aber bestimmt sind Sie nicht hier, um mit mir über die Bibel zu reden.«
»Nein. Ich muss Sie etwas fragen und bin froh, dass die Mädchen nicht im Zimmer sind. Wissen Sie … Ist es möglich, dass Ihr verstorbener Mann eine Beziehung mit Kelly Baker hatte? Wir haben mehrere Hinweise in dieser Richtung.«
Sie saß einen Moment stocksteif da, bevor sie gestelzt antwortete: »Davon habe ich keinerlei Kenntnis.«
»Wirkte er bei ihrem Tod niedergeschlagen? Hat er über sie gesprochen?«
»Ich erinnere mich nicht, dass er ihren Namen in meiner Gegenwart erwähnt hätte.«
»Könnten Sie mir sagen, ob Ihre Glaubensgemeinschaft junge Männer und Frauen zusammenführt …?«
Sie schüttelte den Kopf. »Das müssen wir nicht. Wir wachsen in der Kirche, in der Welt des Geistes, auf; die Kinder kennen einander von klein auf.«
»Und die Erwachsenen kennen die Kinder«, fügte Virgil hinzu.
»Natürlich. Die Bakers sind keine engen Freunde von uns, aber wir kannten Kelly Baker. Mein Vater hat bei Ihnen möglicherweise den Eindruck erweckt, dass dem nicht so war. Er wollte nur nicht in diesen schmutzigen Fall hineingezogen werden.«
»Aha. Anders ausgedrückt: Es ist durchaus möglich, dass Ihr Mann Kelly Baker ziemlich gut kannte und Sie nichts davon wussten.«
Sie überraschte Virgil: »Möglich.« Das klang fast wie eine Bestätigung.
»Wir haben mit jemandem gesprochen, der mit Ihrer Kirche vertraut ist. Er sagt, ziemlich viele ältere Männer heiraten Mädchen kurz nach ihrem achtzehnten Geburtstag. Dadurch erhebt sich die Frage, ob es auf Ihrem Glauben basierende oder von Ihrer Kirche sanktionierte Kontakte zwischen älteren Männern und jüngeren Frauen gibt«, erklärte Virgil.
Langes Schweigen, dann sagte sie mit funkelnden Augen: »Im Hinblick darauf haben wir keine besonderen Regeln. Die Vorschriften dazu stammen aus der Welt des Gesetzes. Sehen Sie sich um, dann merken Sie schnell, was die Welt des Gesetzes anrichtet: Kriege, Verbrechen und Korruption. Zweiter Brief des Petrus 2,19 – ›Freiheit versprechen sie ihnen und sind doch selbst Sklaven des Verderbens.‹«
»Sie leben nun mal auch in der Welt des Gesetzes«, erwiderte Virgil. »Und vergessen Sie nicht den zweiten Teil des Satzes im zweiten Brief des Petrus: ›Denn
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