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Virtuosity - Liebe um jeden Preis

Virtuosity - Liebe um jeden Preis

Titel: Virtuosity - Liebe um jeden Preis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Martinez
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zu leicht zu beeindrucken, als dass es mir hätte Angst einjagen können.
    Ich schloss die Augen und konzentrierte mich auf das Adrenalin, das durch meinen Körper schoss. Diesen Nervenkitzel, dieses Achterbahn-Gefühl bekam ich jedes Mal kurz vorher. Sich auf etwas zu konzentrieren, meine Gedanken zu fokussieren, half. Ich zwang meinen Zeigefinger dazu, ruhig zu werden, und schrieb meinen Namen auf den Samtvorhang, fast so, als hinterließe ich ein Graffiti an einer Häuserwand. Tatsächlich hatte ich noch nie in meinem Leben eine Sprühdose in der Hand gehabt, aber ich verstand denDrang danach. Es wäre schön, allen Orten, an denen ich schon war, meinen Stempel aufzudrücken. Das Publikum würde nach Hause gehen und alles vergessen, aber ich fand es merkwürdig reizvoll, mir vorzustellen, dass in der Konzerthalle ein Zeichen von mir blieb. Nur zu schade, dass ein Finger keine permanenten Spuren auf Samt hinterließ.
    Dann wandte ich mich den Musikern zu. Einige sahen auf ihre Noten, andere starrten ins Publikum, ein paar flüsterten miteinander. Aber dann fiel mein Blick auf den zweiten Violinisten. Und plötzlich war alles anders. Seine Geige ruhte auf den Knien und er sah mir ausdruckslos in die Augen. Wieso starrte er mich an? Woran dachte er gerade? Plötzlich kam mir sein Blick überhaupt nicht mehr ausdruckslos vor. Im Gegenteil: Er wirkte regelrecht feindselig.
    Der Pulk der Geiger um ihn herum zappelte und flüsterte immer noch. Woran dachten sie alle? Diese Frage hatte ich mir nie zuvor gestellt. In einem der besten Symphonieorchester der Welt zu spielen war schier unmöglich und doch wären die Musiker weder an diesem noch an irgendeinem anderen Abend Solist. Natürlich. Sie alle hatten schon das Sibelius-Konzert gespielt und kannten meinen Part wahrscheinlich genauso gut wie ich. Bestimmt hatten sie ihr ganzes Leben davon geträumt, Solisten zu sein. Aber sie waren es nicht. Sie mussten darauf warten, mich zu begleiten. Sie mussten mich hassen.
    Mein Magen drehte sich um. Meine Finger waren gleichzeitig eiskalt und verschwitzt. Sie hassen mich . Der Kopfhörer des Bühnenmanagers knisterte und er sagte etwas auf Japanisch in das Mikro­fon, das er an einem Headset bei sich trug. Dann tippte er mir an die Schulter. Sein Finger fühlte sich spitz an auf meiner nackten Haut. Er nickte mit dem Kopf und zeigte auf die Bühne: »Würden Sie dann bitte, Fräulein.«
    Ich würde nicht. Der Hals meiner Geige fühlte sich plötzlich rutschig an in meiner Hand. Sie wollen, dass ich es vermassele . Wiesowar mir das noch nicht eher klar geworden? Meine Hände zitterten so schlimm, dass ich unmöglich spielen konnte.
    Hinter mir hatte sich eine kleine Menschenmenge versammelt: Bühnenarbeiter, Tontechniker, weitere Musiker, die erst nach dem nächsten Stück spielen würden und alle anderen, die sich hinter der Bühne befanden. Sie wollten sehen, wie Carmen Bianchi aussah, das Wunderkind mit der millionenschweren Gibson Strad, ehe sie die Bühne betrat. Sie wollten von der Seite aus zuhören, damit sie ihren Freunden zu Hause sagen konnten: »So toll war die gar nicht und außerdem ist ihre Nase in natura viel größer.«
    Doch ich hatte keine andere Wahl. Ich schluckte und stürmte auf die Bühne. Als die Musiker meine Absätze klacken hörten, sprangen sie auf und das Publikum brach in ohrenbetäubenden Applaus aus. Meine Knie gaben beinahe nach. Das grelle Licht der Spots ließ mich blinzeln und ich zwang meine Füße vorwärts. Dabei stolperte ich fast über ein Kabel, als ich an den Geigern vorbeikam. Lächele , befahl ich mir und wusste, Diana hoffte im Stillen darauf, dass ich selbstsicher wirkte.
    In der Mitte der Bühne angekommen, schüttelte ich die Hand des Dirigenten, dann die des Konzertmeisters. Ihre festen Griffe hätten mich verankern sollen, aber sie drückten zu fest zu und schüttelten zu stark. Ich stolperte fast über meine eigenen Füße.
    Der Lärm, der überwältigend war, erstarb ganz unvermittelt. Die Stille war schlimmer. Das »A« der Oboe stieg von den Holzbläsern aus in die Höhe und ich stimmte meine Strad. Dabei spürte ich, wie mir jeder einzelne Musiker zuhörte und mein Gehör bewertete. Ich schloss die Augen, schluckte und nickte dann dem Dirigenten zu, damit er begann.
    Der Anfang des Violinkonzerts von Sibelius muss wie ein Eiskristall funkeln. Es soll ein nächtliches Finnland ins Gedächtnis rufen, dessen Lichter im Schnee glitzern. Es war genau das falsche Konzert für

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