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Virtuosity - Liebe um jeden Preis

Virtuosity - Liebe um jeden Preis

Titel: Virtuosity - Liebe um jeden Preis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Martinez
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Diana hatte das alles zerstört.
    Stattdessen analysierte ich jeden einzelnen Blick und jedes Wort, das zu dem Kuss geführt hatte. Als Beweismaterial. Er war ein Lügner. Wenn ich mir das nur oft genug sagte, war es leicht, alles, was geschehen war, in diese Geschichte zu weben. Das würde bedeuten, dass Jeremy jetzt gerade in seinem Hotelbett lag und zufrieden grinste aus Erleichterung, dass ich so leichtgläubig war wie er gehofft hatte. Und seinen nächsten Schachzug plante. Ich hasste ihn, mehr als ich je irgendetwas oder irgendjemanden gehasst hatte.
    Aber was war, wenn Diana unrecht hatte? Hatte ich es nicht verdient, wenigstens diese eine normale Erfahrung zu machen?
    Ich schlüpfte aus dem Bett und schlich über den Flur zu meinem Studio. Der Geigenkasten stand offen und die Schulterstütze war immer noch von meiner letzten Übungsstunde angebracht. Ich nahm meine Geige hoch und ging zum Fenster. Ein leichter Regen bedeckte das Fenster mit einem Film aus Wassertropfen und der Himmel hatte sich von schwarz in das dunkelste Blau verwandelt. Der Morgen war im Anmarsch. Wie hatte Jeremy einen Auftritt beschrieben? Wie das Gefühl zu fliegen. Er hatte gut reden. Vielleicht flog er ja – ich ackerte. Morgen, oder besser gesagt heute, würde ich auf derselben Bühne durch lauwarmes Wasser pflügen.
    Es sei denn …
    Bei dem Gedanken lief mir ein Schauer über den Rücken und mein Magen hob sich. Was würde passieren, wenn ich einfach keine Inderal nähme? Aber du brauchst sie! , schrie mein Verstand. Ich brauchte sie wirklich. Tokio. Inderal hatte mich davor gerettet. Aber ich musste irgendetwas ändern und mir ging langsam die Zeit aus. Vielleicht musste ich einfach springen, vielleicht brauchte ich den freien Fall.
    Ich legte die Geige an und spielte die Eröffnungsphrase der lieblichsten Melodie, die ich kannte. Ralph Vaughan Williams’ The Lark Ascending . Die glatte, klare Melodie, wie von einer aufsteigenden Lerche gesungen, glitt in die Höhe und nahm mich mit sich. Ich schloss die Augen und versuchte mich an das Gedicht zuerinnern, das die Komposition inspiriert hatte. Es fiel mir nicht ein. Ich hatte es für Juri auswendig lernen müssen, aber das war Jahre her. Ich konnte mich aber erinnern, worum es ging. Das Gedicht handelte von einem Vogel, der immer höher gen Himmel flog, bis er nicht mehr zu sehen war.

Kapitel 10
    Ich habe keine Narben. Zumindest findet Heidi, dass die hässlichen roten Stellen an meinem Hals und die Schwielen an den Fingerkuppen nicht zählen. Würde ich aufhören zu spielen, wären sie nach ein paar Monaten verschwunden. Und sie hat recht. Trotzdem kommen mir diese Zeichen wie ein Defekt vor, wie der Beweis dafür, dass ich in Watte gepackt gelebt habe.
    Clark hat einige Narben. Die größte ist eine zwanzig Zentimeter lange lilafarbene Kordel, die sich über die Mitte des Knies erstreckt – das Resultat einer Operation nach einem Kreuzbandriss. Die Verletzung war im Skiurlaub passiert und hatte etwas mit einem unerwarteten Buckel, einem Baum und einem verängstigten Reh zu tun. Ich habe die Geschichte mehrere Dutzend Male gehört, aber sie klingt jedes Mal anders.
    Am besten gefällt mir seine rosa schimmernde Narbe, die den Stumpen seines kleinen Fingers an der rechten Hand umläuft. Als er vierzehn war, hatte er zwei Glieder des kleinen Fingers an die Kreissäge seines Onkels verloren, aber als ich klein war, hatte er mir eine ganz andere Geschichte aufgetischt. Damals hatte er behauptet, er hätte den Finger aus Versehen bei einem Wettbewerb im Hot-Dog-Essen abgebissen. Das hatte mir natürlich unendliche Angst eingejagt. Bis zum heutigen Tag bin ich bei allem extrem vorsichtig, das man aus der Hand isst.
    Diana hat nur eine Narbe, die perlmuttfarbene Linie an ihrer Kehle. Ich finde sie sehr hübsch, weil sie wie ein Pinselstrich aussieht. Aber Diana hasst sie. Für sie ist es eine unheilvolle, wurmartige Erinnerung daran, dass ein Skalpell in ihrem Hals nach Polypenherumgesucht hat. Als wäre ihre raue Stimme nicht Erinnerung genug.
    Heidi hat zwei gleichförmige Narben – glänzende rosafarbene Flecken auf beiden Ellenbogen –, die sie sich zugezogen hatte, als sie von einem Hund auf Rollerskates verfolgt worden war. Natürlich fuhr sie auf den Rollerskates. Nicht der Hund.
    »Ich weiß gar nicht, warum du so besessen von ihnen bist«, wunderte sie sich, als ich mal wieder die unwiderruflich zerstörte Haut auf ihren Ellenbogen begutachtete.
    Dabei ist es ganz

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