Virtuosity - Liebe um jeden Preis
besiegen kann. Du musst mich gewinnen lassen.«
Ich hörte es und hörte es doch nicht. Diese Worte waren so schockierend, dass sie einfach nicht zu mir durchkamen. Aber dann registrierte mein Verstand ihre Bedeutung doch und mein Magen drehte sich um. Ich hatte das Gefühl, mich übergeben zu müssen. »Das …«
»Carmen. Bitte .«
»Das ist nicht fair. Das kannst du nicht von mir verlangen.«
»Nicht fair? Fair ist vollkommen bedeutungslos.« Er blickte mich flehend an. »Jedes Mal, wenn ich meinen Bruder ansehe, denke ich darüber nach, was nicht fair ist. Jedes Mal, wenn ich daran denke, dass ich in fünf Jahren an einer Schule oder auf der Bühne seinwerde und er nichts und nirgendwo sein wird. Nichts ist fair. Manchmal sind die Dinge ein bisschen weniger unfair. Aber das war’s auch schon. Fairer wird es im Leben nicht.«
»Das kannst du aber trotzdem nicht verlangen.« Ich rang nach Luft. Ich musste die Kontrolle zurückgewinnen und nachdenken, aber ich war zu aufgeregt. »Das ist auch mein Traum, Jeremy. Ausgerechnet dir sollte ich nicht erklären müssen, was ich alles dafür geopfert habe. Ich weiß, es klingt egoistisch, wenn man es damit vergleicht, warum du gewinnen willst, wenn man es mit dem Schicksal deines Bruders vergleicht, aber …«
»Aber du könntest doch den nächsten Guarneri-Wettbewerb gewinnen! Robbie hat nicht mehr vier Jahre Zeit!«
»Ich …«
»Denk einfach darüber nach. Mehr verlange ich ja gar nicht. Und ich hätte dich gar nicht erst gefragt, wenn ich nicht denken würde, dass du jemand bist, der es zumindest in Erwägung ziehen würde. Wenn ich nicht …« Er zögerte und strich sich den Pony aus den Augen. Er sah furchtbar unglücklich aus. »Ich habe das Gefühl, in dein Herz sehen zu können, Carmen.«
Ich war eine Vollidiotin! Diana hatte von Anfang an recht gehabt! Vielleicht war er nicht unbedingt darauf aus, mir das Herz zu brechen, aber er hatte sich mit Sicherheit nicht in mich verliebt . Wie konnte ich nur so dumm sein zu denken, dass er irgendwelche Gefühle für mich hegen könnte? Am liebsten wäre ich mit dem Sofa verschmolzen oder hätte mich auf der Stelle in Luft aufgelöst. Ich stand auf, ging zur Glastür, die auf den Balkon führte, und lehnte meine Stirn gegen das kühlende Glas.
Jeremy versuchte bloß, meine Liebe oder Freundschaft, oder was auch immer das hier war, zu gewinnen, damit er an mein Herz appellieren konnte. Falls es dabei brechen sollte, war das ein Nebenschaden, den er in Kauf nahm. Aber seinen sterbenden Bruder dazu zu benutzen, mir ein schlechtes Gewissen zu machen, damit ich ihn gewinnen ließ – das konnte nicht wirklich seine Strategie sein,oder doch? Er musste einfach wissen, dass er seinen Bruder nicht wieder gesund machen konnte, indem er den Wettbewerb gewann. Aber vielleicht hatte er sich selbst eingeredet, dass es funktionieren würde.
Diana hatte nur halb richtig gelegen, was Jeremy anging, aber sie hatte vollkommen recht, was mich anging. Ich war naiv. Ich presste die Stirn gegen die Glasscheibe, hob meine zitternden Finger und legte sie auf die kühle Fläche. Mein Körper verlangte nach Inderal. Oder war es mein Herz, das betäubt werden musste? Warum hatte ich sie bloß alle weggespült? Eine hätte schon gereicht. Eine einzige.
Ich musste eine Antwort auf die Frage bekommen, die jetzt in meinem Kopf umherschwirrte. Aber es war leichter, wenn ich ihn nicht dabei ansah. »Hast du mich deshalb geküsst?«
Ich wusste die Antwort auch so. Ich hätte die Frage gar nicht stellen müssen.
Die Stille, die folgte, war ein wenig zu lang. »Natürlich nicht.«
»Doch, das hast du.« Meine Stimme zitterte, aber ich bekam sie einfach nicht unter Kontrolle. »Deshalb wolltest du dich mit mir treffen, deshalb hast du die Carmen Fantasie als Zugabe gespielt, hast mir vorgegaukelt, dass du mich magst, hast mir gesagt, dass ich schön bin. Das war alles bloß Teil des großen Plans mich weichzuklopfen, mich dazu zu überreden, dir den Sieg beim Guarneri-Wettbewerb zu überlassen!«
»Carmen, das ist doch lächerlich.«
»Ach ja? Finde ich nicht.« Ich bekam Kopfschmerzen, während ich immer wieder über seine Worte stolperte. Irgendetwas passte nicht richtig. »Wieso glaubst du überhaupt, dass ich dich schlagen könnte? Du weißt doch ganz genau, dass du der Favorit bist. Du hast mich ja noch nicht einmal spielen gehört!«
»Ich habe gelogen«, erwiderte er leise. »Ich war am Samstag doch bei deinem Konzert.«
Ich hob
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