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Virtuosity - Liebe um jeden Preis

Virtuosity - Liebe um jeden Preis

Titel: Virtuosity - Liebe um jeden Preis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Martinez
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    Er bewohnte eine große Ecksuite im zehnten Stock, mit dem gleichen lagunenblauen Teppich, einem übergroßen weißen Bett, Mahagonimöbeln und einer unbequem wirkenden Couch. Es war ein wenig unordentlich – auf der Couch lag ein Pullover, neben demBett türmte sich ein Stapel mit Büchern, ein zusammenklappbarer Notenständer war zu seiner vollen Größe hochgeschraubt worden und unter der Last mehrerer Notenbücher abgesackt. Aber so wirkte die Suite immerhin nicht steril und sah auch gar nicht mehr wie ein Hotelzimmer aus. Jeremys Geige und der Bogen lagen nicht im Kasten, sondern im rechten Winkel zueinander auf dem Bett, wie ein dunkles Kreuz auf der weißen Bettdecke aus Seide.
    »Deine Geige«, sagte ich.
    »Was ist damit?«
    »Sie ist wirklich schön. Ganz anders aus der Nähe betrachtet.« Das Holz hatte die Farbe von schwarzem Kaffee, aber ohne die Bühnenspots glänzte es nicht. Die Farbe war wärmer, als ich sie in Erinnerung gehabt hatte, mit einem rötlichen Schimmer.
    »Eine Strad ist es jedenfalls nicht«, konterte er und warf die Zimmerkarte auf die Anrichte.
    Hatte sich ein Misston in seine Stimme geschlichen? Vielleicht bildete ich es mir nur ein.
    »Die Farbe, meine ich. Meine ist ziemlich orange. Würde es dir etwas ausmachen, wenn ich sie mal ausprobiere?«, fragte ich und ging auf das Bett zu.
    »Nur zu.«
    Ich nahm so gut wie nie das Instrument eines anderen Musikers in die Hand. Juri holte seine Geige erst gar nicht mehr aus dem Kasten. Als ich klein war, hatte er in jeder Stunde auf ihr gespielt, weil er es vorgezogen hatte, mir zu zeigen, was er meinte, anstatt es von der Musik ins Ukrainische und dann ins Englische übersetzen zu müssen. Juris Violine war strohfarben, wie Jeremys Haare.
    Ich nahm Jeremys Geige am Hals hoch und legte sie mir auf die Schulter. Alles war genau gleich und doch ganz anders. Das Holz am Hals fühlte sich glatter an und war vielleicht um ein Haar breiter. Der Platz, den der Daumen zwischen Frosch und Wicklung des Bogens hatte, war enger. Ich spielte ein paar Noten. Die Anfangsphrase meiner Lieblingspartita von Bach. Der Ton der Geige war strahlendund schön, aber nicht sonderlich voll. Ich probierte die tieferen Register aus und ging dann langsam höher, bis ich die hohen Noten auf der E-Saite spielte. Er hatte recht. Eine Strad war es nicht, aber der Ton war lieblich und das Instrument sprach gut an.
    Jeremy sah mir von einem Sessel neben dem Fernseher aus zu. Er hatte sich zurückgelehnt und die Arme vor der Brust verschränkt.
    »Schön«, sagte ich.
    Er zuckte die Achseln. Ich sah zu ihm hinüber. Seine Gesichtszüge waren wie versteinert und sein Blick war so intensiv, dass ich schnell wegsah. Wahrscheinlich dachte er, ich wollte seine Geige bloß mit meiner vergleichen, damit ich mich ihm überlegen fühlen konnte. Mist. In seinen Ohren klang jedes Kompliment wahrscheinlich gönnerhaft und unehrlich, aber gar nichts zu sagen wäre extrem unhöflich und eingebildet gewesen. Ich hätte nicht darum bitten dürfen, auf seinem Instrument zu spielen.
    »Ja, das ist sie«, stimmte er schließlich zu. »Meine Eltern mussten eine zweite Hypothek auf ihr Haus aufnehmen, um sie mir kaufen zu können. Aber sie ist natürlich keine … Na ja, du weißt schon.«
    Es war nicht das Instrument, das er verdiente. Ich dachte an seinen Auftritt. Nein, diese Geige war ganz und gar nicht, was er verdiente.
    »Ich werde vom Arts Council England unterstützt und dann ist da noch das Geld von den CDs und Konzertreisen, aber es reicht nicht für das, was ich wirklich brauche. Deshalb muss ich unbedingt gewinnen.«
    Natürlich brauchte er die Geige! Vier Jahre mit einer Guarneri-Geige war eine lange Zeit. Lang genug, um eine Menge Geld zu verdienen, lang genug, um einen Gönner zu finden, der ihm ein neues Instrument finanzieren würde.
    »Du siehst überrascht aus«, sagte er.
    »Nein. Nicht überrascht.« Ich stockte. Ich hatte zu spät bemerkt, dass ich drauf und dran war, das Falsche zu sagen. »Manchmal vergesse ich bloß, dass die Geige auch mit zum Preis gehört.«
    »Wenn ich eine Strad hätte, würde ich mich auch nicht danach drängeln, auf einer Guarneri zu spielen.«
    Ich legte seine Violine und den Bogen zurück auf das Bett. Dann setzte ich mich ihm gegenüber auf das Sofa. Die Atmosphäre war furchtbar steif zwischen uns. Ich hätte nicht mit ihm nach oben auf sein Zimmer gehen sollen. Es schien auf einen Schlag lächerlich, dass ich überhaupt in Erwägung

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