Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Virtuosity - Liebe um jeden Preis

Virtuosity - Liebe um jeden Preis

Titel: Virtuosity - Liebe um jeden Preis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Martinez
Vom Netzwerk:
passt perfekt zum Frühling und wirkt nicht zu herausgeputzt«, hatte sie gesagt. »Es ist ja nur das Halbfinale. Du sollst nicht so aussehen, als würdest du denken, du spielst für ein Königshaus.« Sie hatte recht gehabt. Aber jetzt fühlte ich mich darin wie eine Osterglocke, die Kopf stand. Ich wollte etwas anderes tragen. Etwas, das ich selbst ausgesucht hatte.
    Ich zog das gelbe Kleid vom Bügel, der am Haken hinter der Tür hing, und warf es auf den Boden. Dann bemerkte ich ein meergrünes Stück Stoff, das aus dem Kleidersack herausguckte. Wie hatteich dieses Kleid vergessen können? Ich nahm es heraus. Der Stoff war leicht glänzend, hatte einen tiefen V-Ausschnitt und einen weiten, bodenlangen Rock. Wahrscheinlich war es zu festlich.
    »Carmen?« Dianas schüchternes Klopfen erklang dreimal an der Tür hinter mir.
    »Was denn?« Meine Stimme war perfekt gleichgültig – weder wütend noch reumütig oder irgendetwas.
    Sie öffnete die Tür, blieb aber im Flur stehen. »Wir müssen uns über morgen unterhalten«, erklärte sie. »Über deine Tabletten.«
    »Nein, das müssen wir nicht.«
    Sie hielt inne. Ich hatte sie verwirrt. »Soll das heißen, dass du sie nehmen wirst?«
    »Nein.«
    Sie atmete hörbar aus und zitterte. »Car …«
    »Bitte geh jetzt«, unterbrach ich sie.
    Sie sah mich flehend an. »Was ist nur in dich gefahren?«
    Ich antwortete nicht. Das wusste ich selbst nicht so genau. Aber irgendetwas war in mich gefahren und das ließ sich nicht mehr ungeschehen machen.
    »Mach es nicht«, versuchte sie es noch mal.
    »Gute Nacht«, antwortete ich und machte ihr die Tür vor der Nase zu.
    Der Konzertsaal war nur spärlich besetzt. Fünfundzwanzig, vielleicht dreißig Leute saßen in kleinen Gruppen verstreut. Ich konnte sie von meinem Ausguck hinter dem Bühnenvorhang sehen. Die meisten von ihnen erkannte ich – andere Wettbewerbsteilnehmer, die schon gespielt hatten, ihre Lehrer, ein paar Eltern und Freunde. Auf der Bühne stand nichts als ein Flügel.
    Natürlich wusste ich selbst, dass die Juroren zu weit entfernt saßen und es deshalb unmöglich war, aber ich hätte schwören können, dass ich hörte, wie sie auf ihr Papier kritzelten und mit ihrer Kritik den Auftritt des vorherigen Violinisten zerfetzten. Jetzt war ich fastan der Reihe. Ich konnte Jeremy nirgendwo sehen, hatte aber auch nicht erwartet, dass er kommen würde. Ich zog mich von dem roten Samtvorhang zurück und schloss die Augen.
    Rein durch die Nase, raus aus dem Mund, rein durch die Nase, raus aus dem Mund.
    Während einer meiner Internetsuchen mitten in der Nacht, die auch nur dann sinnvoll erscheinen, hatte ich mich über Lamaze-Atemübungen informiert. Schließlich, so hatte ich gedacht, hatten Kinderkriegen und Auftritte viel gemeinsam. Bei beiden ging es um sehr viel und beide taten höllisch weh. Außerdem klappte es bei beiden besser, wenn man Medikamente nahm – das hatte ich zumindest gehört. Dr. Wright, der Inderal-Seelenklempner, hatte mir ein paar Entspannungsübungen gezeigt, aber ich verließ mich auf nichts, was auf seinem Mist gewachsen war.
    Rein durch die Nase, raus aus dem Mund, rein durch die Nase, raus aus dem Mund.
    Noch mal: Mitten in der Nacht schien es wirklich mehr Sinn zu ergeben. Aber zumindest hatte ich mich noch nicht übergeben müssen. Vielleicht funktionierte es ja tatsächlich.
    Ich zog am Oberteil meines Kleides und schob den sichtbaren BH-Träger zurück unter den Stoff. Diana liebte es normalerweise, auf all diese kleinen Details zu achten. Haarsträhnen, die sich gelöst hatten, ein verwischter Lidstrich, herunterhängende Fäden – sie hatte sie für gewöhnlich gebändigt, korrigiert oder abgeschnitten, ehe ich sie überhaupt bemerkt hatte.
    Ich warf einen Blick auf sie. Sie starrte durch den Vorhang direkt auf den Tisch der Juroren. Sie hatte kein Wort über das andere Kleid verloren. Als ich in der meergrünen Abendrobe die Treppe heruntergekommen war, hatte sie bloß geblinzelt und sich dann einfach umgedreht, als wäre es ihr von Anfang an vollkommen gleichgültig gewesen, was ich anhatte.
    Ich wandte mich wieder dem Publikum zu. Das Licht auf der Bühne war nur halb gedimmt, was bedeutete, dass ich die Gesichtermeiner Mitstreiter sehen konnte. Sie zeigten ein wenig von allem: Nervosität, Erleichterung, Feindseligkeit, Hoffnung. Ich vergewisserte mich erneut, dass Jeremy nicht vielleicht hinten in den Saal geschlüpft war, aber er war nicht da. Er spielte ja erst

Weitere Kostenlose Bücher