Virus (German Edition)
Es war mit
Sicherheit nicht nur die Erleichterung, nun Personenschutz zu erhalten, sondern
in erster Linie die Freude darüber, dass ihr nach anderthalb Tagen
verzweifelten Kämpfens endlich jemand glaubte.
„Gut”, sagte Herforth. „Es gibt
natürlich keinen wirklichen Beweis für Ihre Theorie, aber sie klingt von vorne
bis hinten schlüssig, und die Tatsache, dass sie das dritte Opfer korrekt
prognostiziert haben, ist Grund genug, um zumindest ein Weiterverfolgen der
Theorie zu rechtfertigen.” Sie nahm einen Schluck von ihrem Kaffee.
„Eine einzige Sache habe ich allerdings
nicht ganz verstanden”, fuhr sie fort. „Eine Kleinigkeit, die Sie fast mehr
nebenbei erwähnten. Sie sagten, Sie seien als eines der nächsten drei Opfer
vorgesehen. Woher aber wissen Sie, dass es noch exakt drei Morde geben wird?
Speziell, wenn Sie nur ein weiteres Opfer vorhersagen können?”
Das war Holgers Stichwort. Nun begann
er, die Theorie vom christlich motivierten Killer darzulegen, der die
Apokalypse nachstellte. Erneut wirkte Herforth von Beginn an hoch interessiert,
und ihr Gesicht zeigte zu keinem Zeitpunkt den geringsten Zweifel. Aufmerksam
nahm sie seine Bibelzitate, mit denen er seine Auslassungen unterlegte, seine
Vergleiche der Zitate mit den Morden, seine Erklärung des Codes ‚A87’ und seine
Erläuterungen zu den seltsamen Posaunentönen auf. Und erneut wirkte sie exakt
zu dem Zeitpunkt wirklich restlos überzeugt, da Holger erwähnte, er habe die
Wermutvergiftung als dritte Mordart korrekt vorhergesagt.
Herforth schwieg für eine Weile,
nachdem Holger geendet hatte. „Drei weitere Morde also”, sagte sie schließlich.
Es schien dieses Detail der Theorie zu sein, das sie am meisten schockierte.
Eine bedrückende Stille trat ein. Holger sah, dass Herforth innerlich mit etwas
rang, konnte aber nicht sagen, womit. Hatte sie vielleicht eine Idee, wie sie
das Morden stoppen konnte?
Plötzlich klingelte das Telefon
und Herforth nahm ab. Sie notierte sich etwas, und ihr Gesichtsausdruck, als
sie schließlich auflegte, zeigte leichte Verwirrung.
„Ist einer von Ihnen des
Lateinischen mächtig?” fragte sie dann.
„Natürlich”, antwortete Holger
sofort. Er konnte sich zwar nicht im Geringsten erklären, wie Lateinkenntnisse
bei der Lösung des Falls hilfreich sein konnten, aber selbstverständlich
beherrschte er als Theologe die Sprache.
„Das war der Arzt, der Marcel
Trébor im Krankenhaus behandelt”, erklärte Herforth. „Trébors Zustand hat sich
nicht verändert, doch man hat die Schwellung seiner Zunge in den Griff bekommen
und das Motiv der Tätowierung lesen können. Es handelt sich um einen Schriftzug
in lateinischer Sprache.”
„Und der lautet?” Spannung keimte
in Holger auf.
„ In girum imus nocte et
consumimur igni” , antwortete Herforth. „Können Sie das übersetzen?”
Holger dachte einen Moment lang
nach. Natürlich konnte er das übersetzen, doch es ergab keinen Sinn. Der Satz
alleine klang schon rätselhaft, doch noch viel unergründlicher schien es
Holger, wie er mit den Morden in Verbindung gesetzt werden konnte.
„Was bedeutet der Satz?” Ungeduld
schwang in Debbies Stimme mit. Holger blickte auf. Tief in seinen Gedanken
versunken, hatte er völlig vergessen, dass Debbie und Herforth auf seine
Übersetzung warteten, und nicht bemerkt, wie gespannt sie ihn anstarrten.
„Nun, die Übersetzung ist einfach”,
sagte er schließlich schleppend, immer noch leicht in seinen Gedanken zum Sinn
des Satzes verhangen.
„Hättest du dann die Güte, sie
uns mitzuteilen?” Inzwischen klang Debbie fast genervt.
„Die wörtliche Übersetzung
lautet: Im Kreise gehen wir durch die Nacht und werden vom Feuer
verschlungen. Einzig es ergibt sich kein Sinn daraus”, sagte er.
Es folgte eine ganze Weile der
Stille. Holger konnte nahezu an den Gesichtern der beiden Frauen ihre Gedanken
ablesen. Sie versuchten, dem Satz irgendeinen Sinn zu geben.
„Dagegen wirkt ‚A87’ wie ein
Rebus aus einem Kinderrätselheft”, sagte er schließlich.
Herforth nickte gedankenverloren.
„Ich glaube auch nicht, dass wir das Rätsel jetzt und hier so einfach lösen
können”, erwiderte sie. „Lassen Sie uns nochmal auf unser Gespräch von vorhin
zurückkommen, bevor der Anruf uns unterbrach. Sie erzählten von drei weiteren
apokalyptischen Posaunen. Was genau soll denn bei den restlichen drei Posaunen
passieren?” fragte sie dann. Holger merkte, wie auch Debbie ihn interessiert
anblickte.
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