Virus (German Edition)
der Mörder ist”,
begann Holger, um Drivers Interesse zu wecken. Sein Erfolg war erwartungsgemäß durchschlagend.
Sie setzten sich an einen runden
Konferenztisch aus schwarzem Lack in der Mitte des Raums, dessen blanke
Oberfläche das Flimmern der unzähligen Monitore dunkel reflektierte, und Holger
begann, die Apokalypse-Theorie darzulegen. Es war essenziell, dass Driver sie
kannte, um seine Vermutung nachvollziehen zu können. Holger sprach schnell und
abgehackt. Er wollte keine weitere Zeit verlieren, andererseits aber auch kein
Detail der Theorie auslassen.
„Wann haben Sie diese Theorie
entwickelt?” wollte Driver wissen, als Holger geendet hatte.
„Gestern Nachmittag.”
„Und warum haben Sie mir nicht
vorher davon erzählt?” Der Tonfall des CIA-Manns war nahezu vorwurfsvoll.
„Und warum haben Sie meine
Vergangenheit durchleuchtet?” antwortete Holger cool mit einer Gegenfrage.
Driver blickte ihn durchdringend an.
„Immerhin haben Sie mir jetzt
davon erzählt”, sagte er schließlich mit beruhigender Stimme. „Wer also,
glauben Sie, ist der Mörder?”
„Sein Name verrät ihn”, begann
Holger. „Offenbar ein falscher Name. Ganz augenscheinlich hat unser Mörder eine
Vorliebe für kryptische Enkodierungen. Sowohl der Schriftzug beim ersten Opfer
als auch die Tätowierung auf Trébors Zunge sprechen für dieses Steckenpferd. Ich
denke, er hat seine Vorliebe auf den Bereich der Onomastik ausgedehnt.”
„Onomastik?” Drivers Stirn schlug
eine Falte.
„Die Namenskunde”, klärte Holger
ihn auf. „Er teilt uns mit seinem Namen mit, wer er ist. Eines seiner
Spielchen. Natürlich geht er davon aus, dass wir nicht dahinterkommen –
zumindest nicht, bis er sich offenbart.”
„Sie glauben, er wird sich
offenbaren?” Driver klang zweifelnd.
„Das wird er.”
„Und wer ist es nun?”
„Der Mörder stellt die Apokalypse
nach, wie sie in der Offenbarung des Johannes steht”, erklärte Holger. „In der
Bibel passiert die Apokalypse aber natürlich nicht wirklich – sie ist eine
Vision von Johannes, eine Erscheinung, ein Traum. Kennen Sie das lateinische
Wort für Traum, Herr Driver?”
Driver schüttelte den Kopf.
Spannung stand in sein Gesicht geschrieben.
„Das lateinische Wort für Traum,
Herr Driver, lautet Somnium. Im Plural Somnia.”
Drivers Mund klappte auf und kurz
darauf wieder zu, ohne dass ein Laut herausgekommen war.
„Jo ist kurz für Johannes”, fuhr
Holger fort, als er merkte, dass der Amerikaner zu keiner direkten Reaktion
fähig war. „Die Pluralform und das Anhängen des Buchstaben ‚k’ dienen wohl dem
Zweck, eine geläufigere deutsche Namensendung zu kreieren. Übersetzt heißt der
Name also Jo Träume. Die Träume des Jo. Die Offenbarung des Johannes.”
„Ist das nicht ein bisschen weit
hergeholt?” frage Driver schließlich leicht stockend. „Ich meine, könnte es
nicht auch Zufall sein?”
„Es könnte”, erwiderte Holger.
„Aber wenn man die weiteren Umstände betrachtet, dann halte ich zumindest eine
eingehende Untersuchung Somniaks für angebracht. Ganz speziell angesichts der
Tatsache, dass Sie sogar eine eingehende Untersuchung meiner Person für wert
erachtet haben.”
„Und wie sehen die weiteren
Umstände aus?” ignorierte Driver Holgers Seitenhieb.
„Zum Beispiel verwundert es nicht
mehr, dass Somniak exakt im richtigen Moment auf den Auslöser seiner Kamera
gedrückt hat, wenn man davon ausgeht, dass er der Mörder ist”, erläuterte
Holger. „Ebenso wenig vermag es zu verwundern, dass es ihm gelang, die
Bilddatei aus dem Kongresszentrum zu bringen. Immerhin dürfte er sein
Schmuggeln minutiös geplant haben. Auch das Foto von Professor Dickinson am
Strand dürfte alles andere als ein Zufall sein. Zudem…”
„Ihre Theorie hat einen mächtigen
Haken”, fuhr Driver plötzlich dazwischen.
„Und der wäre?”
„Somniak saß während des dritten
Mordes in Haft. Er kann also gar nicht der Mörder sein.”
„Das ist korrekt”, erwiderte
Holger gelassen. Natürlich hatte er diesen Fakt in seine Überlegungen mit
einbezogen. „Aber Somniak hat einen Komplizen. Es gibt zwei Mörder.
Wahrscheinlich wird er seinen Komplizen sowieso brauchen, um die übrigen drei
Morde zu begehen, nachdem er sich offenbart hat.”
„Wieso sind Sie sich so sicher,
dass Somniak sich offenbaren möchte?” Driver klang wenig überzeugt.
„Er möchte der Welt seine
Botschaft mitteilen. Bedenken Sie, dass er ein religiöser Fanatiker ist.
Weitere Kostenlose Bücher