Virus - Rückkehr der Vogelgrippe (German Edition)
Hand legte sich auf den Hinterkopf des Anderen und drückte ihn nach vorne, so dass er mit der Stirn gegen den Spiegel krachte. Mit einem häßlichen Geräusch zersplitterte das Glas. Ohne nachzudenken riß Krentler die Tür auf und stürzte nach draußen. Er packte seinen Mantel, riss einen viel zu großen Geldschein aus seinem Portemonnaie und legte ihn im Vorbeigehen auf die Bar. Durch die Doppeltüre, die zur Toilette führte, drangen gedämpft die Wutschreie des Anderen. Draußen stieg Krentler in ein Taxi. Aus den Augenwinkeln sah er, wie der Andere mit blutiger Stirn und vor Wut brüllend auf die Straße stürzte. Krentler bedeutete dem Fahrer, loszufahren und nannte ihm die Adresse seiner Wohnung.
Mit einer Mischung aus Erleichterung und Reue lehnte er sich in den weichen Sitz. Was hatte er getan? Das letzte Mal hatte er jemanden verletzt, als er während des Studiums auf dem Hof in eine Schlägerei verwickelt worden war. Einige betrunkene Burschenschaftler waren auf einen Komilitonen losgegangen, weil dieser sich erdreistet hatte, sich über die rostigen Degen zu amüsieren. Krentler war dazwischengegangen und hatte einem der Burschis, wie sie auch genannt wurden, einen harten Faustschlag versetzt, sodass dieser zu Boden ging. Seine beiden Kumpanen hatten daraufhin die Flucht ergriffen. Sein Widersacher hatte eine böse Platzwunde, die nicht vom Schlag, sondern vom Aufprall auf dem Steinboden herrührte. Krentler hatte ihn gemeinsam mit den anderen zur Krankenstation gebracht und sich später bei ihm entschuldigt.
Hätte dieser Flegel eben auf der Toilette ihn nicht freundlich bitten können, anstatt ihn mit Gewalt vom Waschbecken zu drängen? Nein, dachte er, er hatte eindeutig überreagiert. Das war Körperverletzung, für sowas gingen andere Leute in den Knast. Er hoffte nur, dass ihn niemand erkannt hatte. In nächster Zeit durfte er sich dort jedenfalls nicht blicken lassen.
Als sie um die Siegessäule fuhren, fiel ihm ein, dass er mit Rosen sprechen wollte. Er gab dem Fahrer die Adresse des Ministeriums.
26
Li Johansen lag wach in ihrem Bett. In ihrer Wohnung im 57. Stock des Kuang-Towers war der Lärm Hong-Kongs nur noch als leises Rauschen zu hören. Li genoss das Gefühl, auf diese Weise zwischen Erde und Himmel zu schweben.
Ihre Ohren filterten das Knattern eines Hubschraubers aus dem Geräuschteppich. Sie setzte sich auf und blickte aus dem Fenster. Das Meer aus Lichtern war jedesmal überwältigend. Durch die Straßenschluchten schlängelten sich die Fahrzeuge. Darüber schwebte der Suchscheinwerfer des Hubschraubers. Hochhäuser erhoben sich wie riesenhafte, leuchtende Stelen in den Himmel. In der Ferne strahlten die mächtigen, kalten Lichter des Containerhafens.
All das würde sie eine Weile nicht mehr zu Gesicht bekommen. Ihr alter Freund und Studienkollege Ralsmann hatte vor einigen Tagen angerufen und sie gebeten, nach Berlin zu kommen. Näheres hatte er am Telefon nicht sagen wollen, und als Li ihm mitteilte, das sei doch albern, hatte er aufgelegt. Am nächsten Morgen hatte sie auf ihrem Account eine verschlüsselte e-mail gefunden. Was Ralsmann schrieb, war entweder tatsächlich albern oder aber besorgniserregend.
Kurz darauf hatte sie einen Flug nach Berlin gebucht.
27
Krentler schlug wütend den Hörer auf die Gabel. Rosen war nicht mehr ganz dicht im Kopf. Wie hatte dieser Mann erst sein Diplom und dann seinen Doktortitel bekommen, wenn er solchen Ideen nachging?
Nachdem er die Nummer des Labors gewählt hatte, war eine Frauenstimme zu hören gewesen, die in zerhackten Sätzen mitgeteilt hatte, dass seine Nummer zwecks Autorisierung geprüft werde. Erst dann hatte Rosen sich gemeldet. Damit war immerhin klar, dass in dem Labor tatsächlich geforscht wurde. Aber Rosen war sicher nicht der einzige Forscher.
Krentler hatte ohne Umschweife nach den laufenden Forschungen an H5N1/Asia gefragt und die Ergebnisse verlangt. Rosen war darauf nicht eingegangen. Statt dessen hatte er seine Freude über den Anruf mitgeteilt und erneut seine Theorie dargelegt. Inzwischen sei er sicher, dass die Handlungsweisen und die Äußerungen des Virus nicht zufällig seien. Mit seiner Methode des pattern recognition sei es ihm gelungen, Strukturen im Ausbreitungsverhalten zu erkennen, und zwar sowohl unter Laborbedingungen als auch in der Wirklichkeit. Die Ausbreitung des Virus weiche zwar nur latent von den voraussagbaren Entwicklungen ab, aber genau das sei das Interessante. Die Manifestation des Virus
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