Virus
daß ihr Puls sich sofort beschleunigte. Als sie die Schwelle überschritt, hatte sie das bedrückende Gefühl, ein Haus des Schreckens betreten zu haben. Der schwach beleuchtete höhlenartige zweistöckige Raum mit seinem Gewirr von Röhren und deren Schatten machte den Eindruck eines riesigen Spinnennetzes.
Wie sie das von Tad bei den ersten beiden Besuchen gesehen hatte, öffnete Marissa den kleinen Wandschrank hinter dem Eingang und betätigte dort die entsprechenden Schalter, um die Beleuchtung anzumachen und die Kompressoren und Ventilatoren in Gang zu setzen. Das Geräusch der Apparate schien ihr viel lauter, als sie es in Erinnerung hatte, und man spürte im Boden die davon ausgehenden Vibrationen.
Nun, da sie allein war, wirkte das futuristische Laboratorium noch einschüchternder als bei den ersten beiden Malen, als sie mit Tad dagewesen war. Sie mußte all ihren Mut zusammennehmen, um weiterzugehen, denn es war ihr obendrein bewußt, daß sie schon wieder Vorschriften übertrat, während sie sozusagen in einer »Bewährungszeit« war. Sie befürchtete jeden Augenblick, daß irgend jemand sie entdecken könne.
Mit schweißigen Handflächen griff sie nach dem großen Rundgriff, um die luftdichte Tür zum Umkleideraum zu öffnen. Das Rad ließ sich zunächst nicht drehen. Schließlich schaffte sie es unter Einsatz ihrer ganzen Kraft doch. Mit einem zischenden Laut lockerte sich die Verriegelung, und die Tür ging auf. Sie stieg hindurch und hörte, daß sie sich hinter ihr mit einem bedrohlichen dumpfen Geräusch wieder schloß.
Sie fühlte erneut den Druck auf den Ohren, als sie in einen der weißen Arbeitsanzüge schlüpfte. Die zweite Tür ließ sich schon wesentlich leichter öffnen, aber je geringer die tatsächlich auftretenden Schwierigkeiten wurden, desto stärker wurden ihre Bedenken wegen des Risikos, das sie hier auf sich nahm.
Unter den etwa zwanzig Schutzanzügen, die da herumhingen, suchte sich Marissa einen besonders kleinen heraus, aber sie fand das Hineinkommen viel schwieriger ohne Tads Hilfe. Als sie endlich den Reißverschluß zugezogen hatte, war sie schweißgebadet. An der Schalttafel legte sie lediglich die Schalter für die Beleuchtung im Hauptlabor um; derRest war unnötig. Sie hatte nicht vor, zu den Tierkäfigen zu gehen. Dann nahm sie ihren Luftschlauch über den Arm, ging durch die Desinfektionskammer und stieg schließlich durch die letzte luftdichte Tür in den Hauptraum des Labors.
Ihre erste Aufgabe war es, sich an eine günstig gelegene Anschlußbuchse zu hängen, damit die frische Luft ihren Schutzanzug aufblasen und ihren Gesichtsschutz vom Beschlag befreien konnte. Sie begrüßte das zischende Geräusch der einströmenden Luft. Ohne dieses Geräusch hatte eine bedrückende Stille geherrscht. Sie ließ ihre Blicke über die ganze hochtechnologische Einrichtung schweifen und entdeckte schließlich die Tiefkühltruhe. Schon tat es ihr leid, daß sie nicht doch alle Lichter eingeschaltet hatte; die Schatten im Hintergrund des Labors schufen eine düstere Kulisse für die tödlichen Viren und erhöhten Marissas Angstgefühl.
Mit weit ausholenden Schritten, um die Bewegung in dem unförmigen und aufgeblasenen Isolieranzug etwas zu erleichtern, ging Marissa auf die Kühltruhe zu und wunderte sich erneut darüber, daß man sich angesichts der sonstigen hochtechnologischen und supermodernen Ausstattung hier mit einem einfachen Haushaltsgerät zufriedengab. Daß es sich hier im Hochsicherheitslabor befand, war ungefähr so, wie wenn man bei einer Computertagung auf eine uralte Rechenmaschine stoßen würde.
Als sie kurz vor der Kühltruhe angelangt war, hielt Marissa an und warf einen Blick auf die verriegelte Isoliertür links. Nachdem sie erfahren hatte, daß die Viren nicht dahinter gelagert wurden, war sie neugierig geworden, was sich denn wohl sonst dort verberge. Nervös schob sie den Riegel zurück. Eine Dunstschwade zog heraus, als sie die Tür öffnete und den Raum betrat. Für einen Augenblick fühlte sie sich, als ob sie in eine vereisende Wolke geraten sei. Dann schlug die schwere Tür gegen ihren Luftschlauch, und sie war in Dunkelheit getaucht.
Als sich ihre Augen etwas an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte sie etwas erkennen, das wie ein Lichtschalter aussah, und sie schaltete ihn ein. Deckenleuchten gingen an, und Marissa sah ein Thermometer neben dem Lichtschalter. Sie beugte sich darüber und las einundfünfzig Grad minus ab.
»Meine Güte!« rief sie
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