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Visby: Roman (German Edition)

Visby: Roman (German Edition)

Titel: Visby: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Slawig
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Gastgeber hantiert am anderen Ende mit Wasserkessel und Teekanne. Ein großer Mann um die sechzig, hager und etwas gebeugt, mit ruhigen, sicheren Bewegungen. Er blickt sich zu mir um und deutet auf den Tisch. Ich setze mich und öffne den Reißverschluss meiner Jacke.
    Auf dem Tisch steht ein Korb mit Äpfeln. Daneben ein Schneidebrett und ein kleines Messer. Eine Schale mit gehackten Mandeln. Eine andere mit Zucker und Zimt. Am Kopfende, dicht bei der Heizung, eine zugedeckte Schüssel. Backtag. Backtag in Schweden, und es sieht genauso aus wie bei uns.
    Mein Gastgeber stellt Steingutbecher auf den Tisch, schaut unter das Tuch, das über die Backschüssel gebreitet ist, und dreht am Thermostat der Heizung.
    »Was backen Sie?« Ich hoffe jedenfalls, dass ich das frage: Ich bin nicht sicher, ob bake wirklich ein englisches Wort ist oder ob ich es erfunden habe.
    »Äppelkaka och … « Das zweite Wort verstehe ich nicht. »Apple cake. And … « Er überlegt und hebt dann die Schultern. »For my daughter’s daughter. She will be ten tomorrow.«
    Apfelkuchen für seine Enkelin. »Can I help you?«
    Er zögert und zeigt dann auf die Äpfel. Nimmt einen aus dem Korb und fährt mit der anderen, geschlossenen Hand darüber, als würde er ein Messer halten. »You could … « Den Rest verstehe ich nicht. »If you like.«
    »Schälen?« Ich halte das Messer in die Höhe.
    Er nickt und geht wieder in den anderen Teil der Küche hinüber. Ich ziehe meine Jacke aus und hänge sie über die Stuhllehne. Meine Finger fühlen sich klamm an.
    Und schmutzig. Ich stehe auf und gehe zum Spülbecken. Es steht voller Töpfe. Der Mann sieht zu mir her, ich reibe mir die Hände, er deutet zur Tür. In dem engen Flur, durch den wir gekommen sind, entdecke ich eine zweite Tür, dahinter eine winzige Toilette.
    Als ich in die Küche zurückkomme, dampft Tee in meinem Becher, und mein Gastgeber stäubt Mehl auf die Tischplatte. Ich setze mich, trinke Tee und schäle Äpfel, er legt einen Kloß Hefeteig auf die bestäubte Fläche und rollt ihn zu einem langen dünnen Rechteck.
    Es ist warm. Still. Die Äpfel duften. Irgendwann blickt er auf und lächelt mich an, und ich merke, dass ich vor mich hingesummt habe. Wie zu Hause.
    »What’s your name?«
    »Annika.«
    Er wiederholt es. Die As spricht er fast wie Ä. »I’m Carl.« Dieses A klingt dunkel. Er geht zum Herd und kommt mit einer kleinen Kasserolle zurück, nimmt einen Backpinsel und bestreicht das Rechteck aus Teig mit weicher Butter. »Where are you from, Annika?«
    »Eiderstedt. Near Hamburg. A small town, near the sea.« Town ist sicher nicht das richtige Wort, weder für Eiderstedt noch für Westerkoog, aber was macht das schon.
    »Smaller than Ljugarn?«
    »Much smaller. Only … ten houses. Maybe.«
    »No tourists?«
    »Oh, lots of tourists.« Wir lächeln uns an. Wie schnell er etwas gefunden hat, das uns verbindet.
    Als ich nach dem nächsten Apfel greife, legt er kurz seine Hand auf meine, greift mit der anderen nach einem Messer und zeigt mir, dass ich die Äpfel vierteln soll. Ich teile den ersten und entferne Kerngehäuse, Reste der Schale und braune Stellen. Er bringt mir einen Teller. Ich setze das Messer an einem der Viertel an. »Small pieces?«
    »Yes. Very small.« Er sagt noch etwas, das ich nicht verstehe. Ich schneide das Viertel in dünne Scheiben. Er legt wieder die Hand auf meine, nimmt mir das Messer weg und hackt die Scheiben klein.
    »Ah, very small.«
    Er lacht, berührt flüchtig meine Schulter und wendet sich wieder seinem Teig zu. Mit ruhiger Hand streut er Zimt und Zucker darüber, rollt das Rechteck der Länge nach auf und schneidet die Rolle in Scheiben. Die Schnecken legt er in Papierförmchen, die Förmchen auf zwei Backbleche, die Bleche deckt er zu und rückt sie auf Stühlen an die Heizung. Mein Magen knurrt. Ich greife nach einem ungeschälten Apfel. »May I eat one?«
    »Yes, of course.« Er reibt sich das Mehl von den Fingern, gießt uns Tee nach und geht zum Kühlschrank hinüber. Eine Minute später stellt er einen Teller mit brötchenförmigem Zwieback und einen kleinen Napf Frischkäse neben mir auf den Tisch. Dann kehrt er in den anderen Teil der Küche zurück und beginnt mit Butter, Eiern, Milch, Schüsseln und Töpfen zu hantieren. Ich löffele mit einem Zwieback Frischkäse aus dem Napf, esse und sehe ihm zu. Er arbeitet schnell und sicher: Zutaten abmessen, Eier schaumig schlagen, die heiße Milch vom Herd nehmen, bevor sie

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