Viscount und Verfuehrer
nichts zu hören, obwohl anzunehmen war, dass die Lakaien zurückgekehrt waren.
Als Christian einen leisen Fluch ausstieß, drehte sie den Kopf. „Was?“
„Nichts.“
„Hervorragend!“, erwiderte sie.
Er ließ den Brieföffner in das nächste Schlüsselloch gleiten. Und ins nächste. Eines nach dem anderen brach er die Schlösser auf. Jedes Mal fand er in den Schubladen nichts.
Schließlich hatte er die letzte Schublade geknackt, die ganz unten. Beth blickte zum Schreibtisch, sah aber nur Christians Hinterkopf. Er begann im Inhalt der Schublade zu wühlen. Plötzlich ertönte ein erstickter Schrei.
Er stand auf. Seine Miene war wie betäubt. Er hielt etwas in den Händen, ein Objekt, über das er nun fast liebevoll mit dem Finger strich. Schließlich blickte er auf und sah Beth in die Augen. „Ich glaube, dieser Punkt geht an mich.“
Beths Herz setzte einen Schlag aus und begann dann umso heftiger zu klopfen. Er konnte nichts gefunden haben, was Großvater in die Sache verwickelte. Das war schlichtweg unmöglich. Sie würde es nicht glauben. Schließlich ging sie zu ihm hinüber.
Eine Miniatur lag in seiner Hand. Darauf war eine Frau mit dichtem schwarzen Haar zu sehen und herrlichen grünen Augen ... „Deine Mutter“, hauchte Beth und strich über das Bildnis. „Du siehst genauso aus wie sie. Aber wie ... warum sollte Großvater eine Miniatur deiner Mutter besitzen?“
„Ich weiß es nicht“, entgegnete Christian grimmig. Er fing Beths Blick auf. „Glaubst du mir jetzt? Dein Großvater hat mit ihrem Tod zu tun. Dessen bin ich mir sicher.“
Sie wollte ihm antworten, doch die Kehle war ihr wie zugeschnürt. Wie konnte das sein? War es wirklich möglich? Beth konnte es einfach nicht glauben. „Großvater würde nie ...“
In der Eingangshalle erhob sich Lärm. Jameson erteilte Befehle, und im Hintergrund hörte man einen Stock auf den Boden klopfen, ein Geräusch, das beständig näher kam. Dann beschwerte sich eine verdrossene Stimme über die Kälte.
Beth packte Christian am Rock. „Großvater! Er ist aufgewacht!“
15. KAPITEL
Ein richtiger Butler klopft an, ehe er einen Raum betritt. Dies zu vergessen kann alle möglichen Malheurs nach sich ziehen, von denen die meisten jedoch nicht für eine Schilderung in gedruckter Form geeignet sind.
Leitfaden für den vollkommenen Butler und Kammerherrn von Richard Robert Reeves
Der Stock des Herzogs tappte immer näher, und seine Stimme bebte vor Zorn, als er einem der Lakaien auftrug, etwas wegen einem Teppich in der Eingangshalle zu unternehmen.
Christian packte Beth am Handgelenk. „Unter den Schreibtisch.“
„Was?“ Sie blickte zum Schreibtisch und dann auf ihr Kleid. „Ich will nicht ...“
Sein Griff wurde fester. „Kriech sofort unter den Schreibtisch.“
Bevor Beth wusste, wie ihr geschah, hatte Christian sie zu sich hinter den Schreibtisch gezogen. Die Tür zur Bibliothek knarrte, während er sich unter die Knieöffnung zwängte und Beth neben sich schob.
Christian legte den Arm um sie und drückte sie an sich. Es war erstaunlich geräumig unter dem Schreibtisch, da die Schubladen relativ klein ausfielen. Trotzdem saßen sie ziemlich zusammengepfercht, vor allem, weil Christians Schul-tern so breit waren.
Beth zappelte ein bisschen, versuchte es sich halbwegs bequem zu machen, und stieß Christian aus Versehen in die Rippen.
Sie hörte sein erschrecktes Stöhnen, erstarrte und hielt den Atem an.
Ihr Großvater schien zu stutzen und murmelte dann: „Verdammte Rohre. Zahlt man ein Vermögen für die Dinger, und dann ächzen und stöhnen sie wie ein altes Weib.“
Beth begegnete Christians Blick und musste sich die Hand vor den Mund halten, um nicht laut aufzulachen.
Der Stock des Dukes kam näher, immer näher. „Jameson! “, rief der alte Herr, so nah am Schreibtisch, dass Beth zusammenfuhr.
„Jameson!“, rief ihr Großvater noch einmal.
Diesmal antwortete der Butler. „Ja, Euer Gnaden?“
„Bringen Sie mir einen Grog.“
Beth funkelte die Unterseite des Schreibtisches an. Ihr Großvater sollte keinen Rum trinken, da er davon Schmerzen im Bein bekam. Zum Glück wusste Jameson, dass ...
„Jawohl, Euer Gnaden“, sagte der Butler. „Soll ich ihn in einer Tasse servieren, damit Lady Elizabeth es nicht sieht?“
Christian legte rasch die Hand auf Elizebeths Mund, weil sie empört aufkeuchte.
Wütend schob sie seine Hand weg.
„Ja“, sagte ihr Großvater gerade wenig verbindlich. „Und diesmal bitte mit so
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