Viscount und Verfuehrer
diesen Augenblick vorbereitet. Diesen Kampf würde er genießen, er würde sich ihm mit ganzer Kraft, mit Körper und Seele widmen.
Er blies einen Rauchring in die Luft, sah zu, wie der schemenhafte Ring nach oben stieg und zerstob. Obwohl es schon sehr spät war, war er immer noch hellwach vor Aufregung. Dieselbe Erregung verspürte er, wenn er mit donnernden Hufen über die Heide galoppierte, Degen und Pistole in Reichweite und vor ihm in der Kutsche ein dicker, fetter Adeliger. Diesmal waren seine Waffen jedoch weder Degen noch Pistole, sondern nur seine Klugheit und die Hilfe, die ihm eine schöne Dame unbewusst leisten würde.
Überrascht ertappte er sich bei einem Lächeln. Er lehnte den Kopf zurück und blies noch einen Rauchring, größer diesmal. Langsam stieg der silbergraue Ring zur senfgelben Decke empor und löste sich dann auf.
Befriedigt nickte Christian. Er war bereit. Die Zeit war gekommen. Seine Zeit.
Der Kampf konnte beginnen.
5. KAPITEL
Ein wohlgeborener Gentleman wird seine Bedürfnisse nie über die einer Dame stellen. Es sei denn, es habe mit der Beschaffung seines Dinners zu tun. So traurig es auch ist: Wenn es um ihren Braten geht, werden alle Männer Bürgerliche.
Leitfaden für den vollkommenen Butler und Kammerherrn von Richard Robert Reeves
„Nun schau dir das an!“ Mit raschelnden Röcken wirbelte Beth herum. Sie lächelte ihrer Zofe zu. „Ich bin einfach begeistert von meinen neuen Kleidern!“ Vor allem entzückten sie die vielen Farbschattierungen - die hellen Blautöne, Cremefarben, das warme Rosa und die gedämpften Grüntöne. Sie betonten ihren Teint und ihr Haar, und sie fühlte sich darin frisch wie ein Frühlingslüftchen.
Annie schniefte. „Sie haben genug Kleider für ’n Trousseau, und dabei woll’n Sie das doch gar nicht.“
„Ich will durchaus ein Trousseau. Nur jetzt noch nicht.“ „Keine Ahnung, warum Sie nicht so schnell heiraten woll’n, wie Sie nur können“, meinte Annie. „Einen guten Mann findet man nicht an jeder Ecke. Ich würd’ sofort den nächstbesten nehmen.“
„Weswegen du auch schon vier Mal verheiratet warst.“ „Fünf Mal, wenn man den Dänen in Shrevesport mitzählt.“
Annie schürzte die Lippen. „Ich nehm ihn nicht immer auf die Liste, wo er doch schon am nächsten Tag gestorben ist.“ Um Beths Lippen zitterte ein Lächeln. Sie hatte die mürrische Annie entgegen der Ratschläge ihrer Stiefmutter engagiert und es noch keinen Moment bedauert. Charlotte hatte es missfallen, dass Annie so direkt war und einen manchmal richtiggehend deprimieren konnte. Für die gängigen gesellschaftlichen Normen war die Zofe ziemlich freimütig, und auch ihr Äußeres war reichlich kurios: Von Gestalt war sie groß und schlaksig, und sie besaß ein eckiges, maskulines Gesicht, das von unnatürlich roten Löckchen umgeben war. Doch sie war ein wahres Genie mit der Nähnadel und konnte aus Beths langem blondem Haar verschiedene modische Frisuren zaubern, die ihresgleichen suchten. Alles in allem war sie als Zofe ein Glückstreffer, trotz ihrer Manieren.
„Annie, du hast ganz recht damit, den Dänen nicht mitzuzählen. Ich hätte den Schurken auch ausgelassen. Wenn ein Mann als Gatte lobend erwähnt werden will, sollte er mindestens eine Woche lang durchhalten. “
„Find ich auch, Mylady. “ Annie reichte Beth Hut und Handschuhe. In ihren Augen glomm ein misstrauischer Blick. „Wer ist denn der Mann, den Sie heut im Park treffen möchten?“ Angelegentlich streifte Beth sich die Handschuhe über. „Ich weiß nicht, wovon du redest. Beatrice und ich fahren in ihrem neuen Kabriolett aus. Das ist alles.“
„Hmm. Dafür, dass Sie nur mit Ihrer Cousine ausfahren woll’n, schauen Sie aber ein bisschen arg aufgeregt aus.“ Annie trat zurück und betrachtete Beth von oben bis unten. Dann nickte sie, so heftig, dass ihre roten Löckchen auf und ab tanzten. „Und Ihren besten Reitdress haben Sie auch angezogen. Da ist ein Mann im Spiel, todsicher.“
„Du kannst dir so sicher sein, wie du willst, es stimmt trotzdem nicht. Ich habe nicht die Absicht, heute oder an irgendeinem anderen Tag einen Mann im Park zu treffen. “ Was eindeutig gelogen war; den ganzen Morgen hatte Beth an den dunkelhaarigen, grünäugigen Viscount gedacht - seit sie aus einem Traum erwacht war, in dem er sich über sie gebeugt hatte, wie um sie zu küssen. Auch jetzt konnte sie sein attraktives Gesicht vor sich sehen, wenn sie die Augen schloss, seinen warmen Atem
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