Viscount und Verfuehrer
sagten selbst, dass Sie noch nicht genügend Beweise gesammelt haben.“
„Bald habe ich alles beisammen.“
„Natürlich, Mylord.“
Verdammt. Christian fuhr sich durchs Haar. Er war wirklich nicht gern ungnädig, aber ... Er warf Reeves einen harten Blick zu. „Sie sagen es mir doch, wenn Sie noch etwas herausfinden?“
„Jawohl, Mylord. Selbstverständlich.“
„Danke. Sie sind ein außergewöhnlicher Mensch, Reeves.“
„Ich gebe mir Mühe, Mylord.“
Nach einem letzten Blick in den Spiegel wandte Christian sich zur Tür. „Dann mache ich mich jetzt mal in den Park auf. “ Kurz darauf schritt er den Flur hinunter, wo die Morgensonne auf das polierte Parkett fiel. Er konzentrierte sich mit dem ganzen Körper auf das bevorstehende Spiel. Er musste Lady Elizabeths Vertrauen gewinnen. Unbedingt. Auch wenn er diese Aussicht erregend fand, dachte er unwillkürlich, dass er die faszinierende Lady Elizabeth unter anderen Umständen um ihrer selbst willen umwerben hätte können.
Er konnte seine lebhafte Fantasie nicht davon abhalten, sich die üppige, liebreizende Elizabeth in seinem Bett vorzustellen. Allein der Gedanke daran, wie sich ihre geschmeidigen Glieder nackt auf seinem Laken ausstreckten, das honigblonde Haar um sie ausgebreitet, in den Augen jenen amüsierten, vor Intelligenz sprühenden Ausdruck ... bis sie sich vor Leidenschaft verdunkelten ...
Würden sie sich vor Leidenschaft verdunkeln? Vielleicht würden sie zu strahlen beginnen.
Plötzlich erkannte er, dass die Bruchstücke an Informationen, die er im Verlauf der letzten Woche über sie gesammelt hatte, kein sehr genaues Bild ergaben. Beispielsweise wusste er, dass sie die Quadrille allen anderen Tänzen vorzog. Dass sie im Park fast nur in der Kutsche ausfuhr. Dass ihr Komödien lieber waren als düstere Trauerstücke. Aber auch wenn das alles nützliche Informationen waren, die er mit viel Raffinesse und List herausgefunden hatte, sie verrieten ihm nicht, was sie im Leben wollte, wovor sie sich fürchtete oder - und das war vielleicht das Wichtigste - wer sie wirklich war.
Er blieb stehen. Leise Unruhe machte sich in ihm breit. Einen Augenblick stand er nur da und starrte zu Boden.
Plötzlich machte er resolut kehrt und begab sich in die Bibliothek. Er setzte sich an den Schreibtisch, tauchte die Feder ins Tintenfass und schrieb auf einem Zettel eine einzige Zeile nieder. Danach wedelte er mit dem Papier, um die Tinte zu trocknen, räumte Tinte und Feder weg und steckte den Zettel ein. Schließlich kehrte er in die Halle zurück, nahm Hut und Handschuhe vom Lakaien entgegen und verließ das Haus. Draußen auf der Treppe blieb er stehen. Er hatte das Gefühl, als hätte er eine große Entscheidung getroffen.
Und das hatte er auch. Er tat, was getan werden musste. Was der tragische Tod seiner Mutter erforderte. Das war alles.
Mit zusammengebissenen Zähnen ging Christian die breite Marmortreppe hinunter. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, die eigenen Motive zu hinterfragen. Wie lächerlich, dass er Reeves erlaubt hatte, seine sorgfältig zurechtgelegten Pläne in Zweifel zu ziehen. Er wusste verdammt genau, was er tat, und konnte gut darauf verzichten, dass ihm der ehemalige Butler seines Vaters moralische Ratschläge erteilte.
So weit war es ja nun wirklich nicht gekommen. Noch nicht zumindest.
Seufzend nahm er vom Stallburschen die Zügel seines Lieblingspferdes entgegen und schwang sich in den Sattel. „Die Belagerung kann beginnen“, stieß er leise aus, presste dem mächtigen Pferd die Schenkel in die Seiten und lenkte es Richtung Park.
6. KAPITEL
Ein guter Dienstbote ist stets diskret, erledigt sorgsam all seine Pflichten und urteilt nie über die Gewohnheiten seines Dienstherrn. Außer vielleicht, wenn sie wahrhaft verwerflich sind.
Leitfaden für den vollkommenen Butler und Kammerherrn von Richard Robert Reeves
Während Christian auf den Park zutrabte, entdeckte er Lady Elizabeth und ihre Cousine Mrs.Thistle-Bridgeton, die Frau, die ihr am Vorabend als Anstandsdame gedient hatte. Ihren Namen in Erfahrung zu bringen war kein großes Kunststück gewesen - nun musste Christian nur noch irgendwie an ihr vorbeikommen.
Völlig unempfänglich für seine Gegenwart, ratterten die Damen in der etwas protzigen Kutsche an ihm vorbei; die Sonne glänzte auf dem schwarzen Chassis ebenso sehr wie auf dem Fell der Rappen.
Die funkelnagelneue Kutsche war schon auffällig genug, doch im Zusammenspiel mit den herrlichen
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