Vision - das Zeichen der Liebenden
sehr Erik Jana auch lieben mochte, er liebte sie mehr. Und er war bereit, es zu beweisen.
»Ich werde dein Labyrinth betreten.« Er merkte nicht einmal, dass seine Fäuste sich ballten. »Und ich werde es wieder verlassen. Liebe ist auch eine Art Pflicht, finde ich. Und ich liebe Jana einfach zu sehr, um an dieser Sache zu scheitern.«
Kapitel 5
Wenige Minuten später fuhr Alex in einem modernen Stahllift in die unteren Etagen der Festung hinab. Neben ihm zupfte Garo nervös an seinen Koteletten, die goldenen Augen auf die Metallwand des Lifts geheftet. »Warum begleitest ausgerechnet du mich?«, fragte Alex plötzlich, nachdem sie bereits eine ganze Weile unbehaglich schweigend in die Tiefe gefahren waren.
Garo blickte weiter starr geradeaus. Es wirkte, als müsse er sich erst zu einer Antwort durchringen. »Sie kommen dem Labyrinth nie zu nahe«, knurrte er schließlich. »Das dürfen sie nicht.«
»Sie?«
»Die Medu. Etwas darin zieht sie an, nimmt sie gefangen, lockt sie in den Tod. Ich habe schon oft welche zum Eingang gebracht. Während der ganzen Fahrt nach unten haben sie sich gewehrt. Sie haben mich angefleht, mir gedroht… Aber als wir dann davorstanden, war es, als hätten sie keinen eigenen Willen mehr. Wie blind gingen sie hinein, ohne noch einmal zurückzublicken. Später dann waren Schreie zu hören, furchtbare Laute, die durch die ganze Festung hallten. Nie wieder wollte ich solche Schreie hören. Doch ich fürchte, es ist schon bald wieder so weit.« Garos Lippen bebten, seine Nasenflügel weiteten sich, als wittere er etwas: »Du solltest da nicht hineingehen.« Als er fortfuhr, klang seine Stimme überraschend menschlich. »Du bist doch auch einer von ihnen. Das Ungeheuer wird dich töten.«
Alex überlegte, ob der Ghul sich gerade einen Spaß mit ihm erlaubte. »Das Ungeheuer?«, wiederholte er. »Was denn für ein Ungeheuer?«
Garo schwieg. Die Fahrt schien kein Ende nehmen zu wollen. In stetigem Tempo fuhren sie tiefer und tiefer. Ab und zu ruckelte der Lift leicht, wurde aber nicht langsamer. Wie aus weiter Ferne war das tiefe, monotone Brummen des Fahrstuhlmechanismus zu hören.
»Ich weiß nicht, wie es aussieht, ich weiß nur, dass es sie tötet«, nahm Garo vorsichtig das Gespräch wieder auf. »Nur die Medu. Den Menschen tut es nichts. Aber das heißt nicht, dass sie aus dem Labyrinth wieder hinausfinden. Ich habe so viele hierher geführt. Fast alles Ghuls, so wie ich, und noch nie ist einer herausgekommen. Aber zumindest schreien die Menschen nicht. Da ist nur Stille.«
Während der restlichen Fahrt dachte Alex über die rätselhaften Worte des Ghuls nach, bis sein Magen plötzlich einen Purzelbaum schlug, als der Fahrstuhl abrupt abbremste. Sie standen still.
Die Tür ging auf und beide traten hinaus in einen rechteckigen Vorraum mit Marmorboden. In einer Ecke standen in rechtem Winkel zueinander zwei weiße Designersofas, dazwischen ein staubiges Glastischchen mit ein paar Illustrierten und einem Metallkrug mit trockenen Rosen darauf.
Es gab kein Fenster, nur runde Leuchtstoffröhren an der Decke, die den Raum in kaltes, steriles Licht tauchten. Alex fröstelte unwillkürlich.
»Da lang.« Garo deutete auf eine Tür in der gegenüberliegenden Wand, eine nüchterne Glastür ohne jede Besonderheit, wie sie in jedem beliebigen Bürogebäude zu finden war.
»Was?« Alex wusste noch immer nicht, was er von Garos merkwürdigem Benehmen halten sollte. »Hinter dieser Tür fängt das Labyrinth an?«
Garo nickte. »Noch kannst du es dir anders überlegen. Ich kann dir helfen, wenn du willst. Ich schleuse dich heimlich aus der Festung und bringe dich zu jemandem, der dich verstecken kann. Ober wird nie erfahren, dass du nicht hineingegangen bist… Er wird einfach denken, du hättest den Ausgang nicht gefunden. So wie all die anderen.«
Die Türen des Lifts hatten sich hinter ihnen geschlossen. Stirnrunzelnd betrachtete Alex die Glastür, die so gewöhnlich aussah. Das Tattoo hatte zu pochen begonnen, es zog und zerrte an ihm, wollte näher heran an diese unscheinbare Tür. Doch Alex wusste, wenn er es wirklich wollte, konnte er diesem Drang widerstehen. Garo hatte recht, noch hatte er die Wahl… Niemand konnte ihn zwingen, das Labyrinth zu betreten.
»Warum willst du mir helfen?«, fragte er.
Der Ghul lächelte, seine spitzen Reißzähne kamen zum Vorschein. Er wirkte ein wenig verwirrt. »Du bist nicht wie die anderen. Du verachtest uns nicht. Außerdem gibt es da draußen
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