Vision - das Zeichen der Liebenden
anfassen darf, bis das Tattoo verheilt ist?«, fragte er.
Das Knistern eines Blattes, das sich aus den Weinranken an der Wand gelöst hatte, lenkte ihn einen Moment ab. Es war rot und vollkommen, auf der zarten Oberfläche glitzerten Tautropfen. Trotz der Entfernung, meinte Alex, einen leicht metallischen Duft wahrzunehmen.
Dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf Jana. Da war noch etwas anderes, es lag versteckt unter ihrer ernsten, alarmiert wirkenden Miene, eine Art dumpfe, nur mit Mühe unterdrückte Gereiztheit. Und eiserne Entschlossenheit.
»Was hat David dir genau gesagt?«, fragte sie. Sie kam immer noch nicht näher, sondern setzte sich dort, wo sie stand, ins Gras.
Sicherheitsabstand, dachte Alex überrascht. Es fiel ihm schwer, sich auf das Gespräch zu konzentrieren und die Blätter und die Ameisen und das Gras auszublenden, dieses ganze lautlose Leben um sie herum, das ihn früher nie interessiert hatte.
»Er sagte, ich soll die Person, für die ich mich entschieden habe, nicht anfassen, bis das Tattoo verheilt ist. Tja, und diese Person bist du. Und er hat mir prophezeit, dass das Tattoo mich für immer an dich bindet, egal, was du für mich empfindest.«
»Das hat er dir gesagt und du hast dich trotzdem darauf eingelassen?«, fragte Jana schroff. »Du spinnst.«
Alex schluckte.
»Um ehrlich zu sein, habe ich ihm eigentlich gar nicht geglaubt. Ich hab gedacht, er will mich testen. Aber jetzt… jetzt sehe ich das anders.« Er blickte sich um. »Alles hat sich verändert«, fügte er hinzu, obwohl er vielleicht eher hätte sagen müssen: Ich habe mich verändert .
Jana sah ihn lange an. Nach außen hin wirkte sie ruhig. Doch Alex spürte, wie es in ihr arbeitete – dass sie über seine Worte nachdachte und versuchte zu verstehen, eine Lösung zu finden.
»Alex, was redest du denn für einen Unsinn?«, fragte sie schließlich zögerlich. »Das sagst du nur, weil du gerade eine halbe Ewigkeit lang ohnmächtig warst.« Sie tat, als hätte er einen völlig absurden Gedanken geäußert.
»Was? Du hast doch selbst vorhin noch behauptet, eure Tattoos wären magisch.«
»Da hast du mich falsch verstanden«, widersprach Jana. »Ich hab gesagt, sie können das Bewusstsein beeinflussen, es in eine bestimmte Richtung lenken. Das ist nicht dasselbe.«
»Aber ihr knöpft euren Kunden eine Menge Geld ab, indem ihr ihnen genau das einredet: dass in euren Tattoos Magie steckt… Oder stimmt das etwa nicht?«
Erneut konnte Alex beobachten, wie Janas Verstand sich blitzschnell in Bewegung setzte, wie er prüfte, forschte, nach einer Erklärung suchte.
»Autosuggestion ist die mächtigste Magie, die es gibt«, erwiderte sie. »Wenn du davon überzeugt bist, dass dieses Tattoo dich mit mir verbindet, wirst du genau das erleben. Auch dann, wenn das Tattoo selbst gar nichts bewirkt. Das ist es, was wir tun. Nicht mehr und nicht weniger.«
»Mit anderen Worten: Ihr nutzt die Leichtgläubigkeit der Leute aus, um ihnen das Geld aus der Tasche zu ziehen.«
Er provozierte sie. Absichtlich. Er wollte sehen, wie lange Jana dieses Spiel durchhielt.
»Du vereinfachst die Dinge zu sehr.« Das klang wie der Versuch einer Rechtfertigung. »Was wir tun, ist nicht illegal, es ist nicht mal unmoralisch. Wir geben den Leuten etwas, was sie nicht haben, oder besser gesagt, was sie nicht zu haben glauben. Wir tragen dazu bei, ihr Leben reicher zu machen.«
Das war nicht die Antwort, die Alex erwartet hatte. Er hatte damit gerechnet, dass sie ihn entrüstet zurechtweisen, vielleicht sogar aufspringen und auf ihn losgehen würde. Die Tatsache, dass sie all das nicht tat, machte ihn nachdenklich.
Außerdem saß Jana immer noch anderthalb Meter von ihm weg. Nach wie vor vermied sie es sorgfältig, ihm zu nahe zu kommen.
»Dann ist es also doch keine Magie«, sagte er, um die Situation ein wenig aufzulockern. »So eine Enttäuschung!«
Jana musste lachen. Es klang erleichtert. »Tut mir leid.« Sie legte den Kopf schräg. »Wäre es dir lieber, wenn ich eine Art Hexe wäre?«
Er zögerte.
»Keine Ahnung, ich glaube, es wäre mir ziemlich egal. Ich mag dich, egal, wer oder was auch immer du bist. Selbst wenn du nachts auf deinem Besen durch die Luft fliegen würdest.«
Sie lachte wieder, sie schien sich tatsächlich ein bisschen zu entspannen.
»Mal ehrlich, wenn du wirklich geglaubt hättest, was David dir über das Tattoo gesagt hat, hättest du es dir dann trotzdem machen lassen?«
Alex wurde ernst. »Ja. Mir
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