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Visionen Der Nacht: Der Tödliche Bann

Visionen Der Nacht: Der Tödliche Bann

Titel: Visionen Der Nacht: Der Tödliche Bann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa J. Smith
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aus der Dusche mischten sich Tränen. Kaitlyn drehte den Kopf, um einmal tief einzuatmen. Deshalb sah sie nicht, dass der Duschvorhang weggezogen wurde.
    Schon schloss sich eine raue Hand um ihren nassen Arm.
    »Was hast du hier zu suchen? Raus!«, brüllte Bri und hängte noch eine Schimpftirade an. Bri zerrte Kait aus der Dusche. Nackt, wie sie war, warf sie das nasse Haar aus dem Gesicht und starrte das andere Mädchen entsetzt an.
    »Du glaubst wohl, du kannst wieder das ganze heiße Wasser verbrauchen? So wie gestern Abend?« So oder so ähnlich brüllte Bri sie an – in Wahrheit war jedes zweite Wort ein Schimpfwort. Kaitlyn stand tropfend auf dem Fliesenboden und hörte sich den Wortschwall entgeistert an.
    »Du glaubst wohl, du bist was Besseres, was?«, schrie Bri. »Die kleine Miss Wunderbar, Liebling aller Pauker. Und du meinst, du könntest alles Wasser der Welt verbrauchen. Weil du es gar nicht anders kennst.«
    Die Sätze wirkten unlogisch, und wieder hatte Kaitlyn das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Es war, als könne Bri nicht wirklich erkennen, was sie eigentlich so wütend
machte. Nur ihr Zorn und ihre Feindseligkeit waren klar und deutlich.
    »Jedermanns Liebling«, höhnte sie und neigte den Kopf nach vorn, den Zeigefinger am Kinn – eine groteske Shirley-Temple-Imitation. »Was bist du süß …«
    Das brachte das Fass zum Überlaufen. Kaitlyn hatte ein hitziges Temperament, das zündete wie ein Brandbeschleuniger, wenn er mit einem Streichholz in Berührung kommt. Nackt, wie sie war, packte sie Bri und knallte sie gegen die Wand. Dann zog Kait sie wieder weg und schleuderte sie erneut gegen die Wand. Bri klappte der Mund auf, und in ihren Augen war das Weiße zu sehen. Sie wehrte sich, doch die Wut verlieh Kaitlyn übermenschliche Kräfte.
    »Du glaubst, ich hätte es immer leicht gehabt?«, brüllte sie Bri an. »Du hast ja keine Ahnung, wie es zu Hause in Ohio war. Ich war sowieso auf der Verliererseite, aber zu allem Überfluss war ich für alle die Hexe. Du glaubst, ich weiß nicht, wie es ist, wenn sich die Leute bekreuzigen, sobald sie dich sehen? Als ich fünf war, wollte mich die Fahrerin nicht in den Schulbus einsteigen lassen. Sie sagte, meine Mutter sollte mich erst mal in der Kirche segnen lassen … und dann ist meine Mutter gestorben …«
    Tränen liefen Kaitlyn über die Wangen. Ihr Zorn ließ nach. Noch einmal schlug sie nach Bri, dann ließ sie von ihr ab.

    »Die Kinder in der Schule haben Wetten abgeschlossen, wer sich traut, mich zu berühren. Und die Erwachsenen waren nervös, wenn sie mit mir sprachen. Mr Rukelhaus hat immer mit den Augen gezuckt. Ich hatte als Kind das Gefühl, dass ich eigentlich in den Zoo gehöre. Also tu nicht so, als ob ich nicht wüsste, wie das ist. Mir brauchst du wahrlich nichts erzählen!«
    Sie beruhigte sich nach und nach, und auch ihre Atmung normalisierte sich. Dasselbe galt für Bri.
    »Du färbst dir die Haare blau und tust alles dafür, dass du gruselig aussiehst. Aber das ist deine freie Entscheidung, und du kannst das auch wieder ändern. Ich kann meine Augen nicht ändern. Ich kann nicht ändern, was ich bin.«
    Plötzlich verlegen, sah sie sich nach einem Handtuch um.
    »Du bist okay«, sagte Bri in einem Ton, den Kaitlyn noch nie von ihr gehört hatte. Es klang gar nicht mehr nach dem höhnischen harten Mädchen. Kait sah sich überrascht nach ihr um.
    »Ja, du bist okay. Ich dachte, du bist nur so ein verwöhnter Waschlappen, aber das stimmt gar nicht. Ich finde deine Augen cool.«
    Zum ersten Mal, seit Kait sie kennengelernt hatte, machte sie einen einigermaßen vernünftigen Eindruck.
    »Ich … also, danke. Danke.« Kait wusste nicht, ob sie sich entschuldigen sollte. Sie entschied sich für die Worte: »Du kannst jetzt gern duschen.«

    Bri nickte ihr freundlich zu.
    Seltsam, dachte Kait, als Joyce sie zur Schule brachte – Bri, Lydia und Renny waren in Lydias Auto gefahren. Merkwürdig, aber einen kurzen Augenblick klang Bri fast wie Marisol. Was hatte Marisol am ersten Abend noch gesagt? Ihr haltet euch ja für so schlau – so übersinnlich! Ihr glaubt wohl, ihr seid allen anderen überlegen.
    Aber das stimmte gar nicht. Es war nur Marisols fixe Idee gewesen. Kaitlyn warf Joyce von der Seite unbemerkt einen Blick zu. Joyce hat diese Idee auch. Sie denkt, sie bekommt nicht, was ihr zusteht.
    Sie glauben alle, die Welt da draußen ist nur darauf aus, ihnen eins reinzuwürgen. Sie sind etwas Besonderes und allen anderen

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