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Visionen Der Nacht: Die Dunkle Gabe

Visionen Der Nacht: Die Dunkle Gabe

Titel: Visionen Der Nacht: Die Dunkle Gabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa J. Smith
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Sie holte es wohl besser dort ab, denn
sie wollte nicht, dass jemand anders es zu Gesicht bekam.
    »Ich bin bald wieder da«, sagte sie zu den anderen. Dankbar nahm sie zur Kenntnis, dass sich alle von ihr verabschiedeten. Davon hatte sie immer geträumt, in einem Raum voller Leute zu sagen: »Ich gehe dann« und ein mehrstimmiges »Tschüss« als Antwort zu hören.
    Die Zeichnung war nicht im Labor. Kait hoffte, dass jemand sie weggeworfen hatte, und ging durch die Küche und die Hintertür aus dem Haus.
    Sie hatte nur das Skizzenbuch und Zeichenkohle dabei. Draußen war es zu dunkel, um noch Farben zu erkennen, aber das Mondlicht würde für grobe Skizzen ausreichen. Die Luft war angenehm frisch und kühl.
    Das sieht doch zumindest schon mal nach Winter aus, dachte sie. Schwarze Schatten und silbernes Mondlicht. Hinter dem Haus führte ein schmaler Weg einen Abhang hinunter zu einer Gruppe von Mammutbäumen. Kaitlyn folgte ihm.
    Am Fuß des Hügels verlief ein kleiner, fast ausgetrockneter Bach, über den eine flache Betonbrücke führte. Der Weg sah aus, als würde er nie benutzt. Kaitlyn stand inmitten der riesigen Bäume und atmete die Nachtluft und den Duft von Harz und Nadeln ein.
    Was für ein wunderbarer Ort. Die Bäume verdeckten
die Lichter des Hauses, und nicht einmal die laute Musik aus dem Arbeitszimmer war zu hören. Kait hatte das Gefühl, ganz allein zu sein.
    Sie setzte sich auf einen Stein, das Skizzenbuch auf den Knien.
    Das Mondlicht, das kühlste Licht, das man sich vorstellen konnte, war zwar stimmungsvoll, reichte aber nicht aus, um exakt zu zeichnen. Ach was, dachte Kaitlyn, Joyce will ja gerade, dass ich lerne, blind zu zeichnen. Mit leichten, flüssigen Bewegungen skizzierte sie die Umrisse einiger Mammutbäume neben dem Bach. Es machte Spaß, nur die Konturen zu zeichnen, ganz ohne Details.
    Was für ein friedlicher Ort. Sie fügte noch einen Busch hinzu. Schon ging es ihr viel besser. Nun noch eine dunkle, gewundene Linie als Bach. Kaitlyn zeichnete gerade ein paar Steine – da hörte sie ein Geräusch.
    Einen Plumps. Als sei jemand von einem Baum gefallen, dachte Kaitlyn wie gelähmt.
    Oder gesprungen.
    Es war seltsam, aber sie wusste sofort, dass es ein Mensch war. Das Geräusch kam sicher nicht von einem Tier.
    Außer ihr war noch jemand hier draußen.
    Sie sah sich um, fast unbewegt, drehte nur den Kopf. Sie hatte gute Augen, die Augen einer Künstlerin, und als sie hergekommen war, hatte sie die Form der
Bäume und Büsche genau registriert. Wenn sich etwas verändert hatte, müsste sie es bemerken.
    Doch ihr fiel nichts auf. Es war auch nichts zu hören. Falls noch jemand da war, ließ er es sie jedenfalls nicht wissen.
    Deshalb war das Ganze auch nicht witzig. Kein Spaß. Wenn sich jemand nachts versteckt und nicht zu erkennen gibt, wer er oder sie ist, wenn man Blicke auf sich spürt, aber nicht weiß, wessen, so ist das nicht witzig. Kaitlyns Hände waren kalt, und sie verspürte eine Enge in der Kehle.
    Steh auf. Geh. Jetzt, dachte sie.
    Sie machte zwei Schritte zum Hügel hin, da sah sie zwischen den Bäumen eine Bewegung. Das war ein Mensch, der aus dem Schutz der Mammutbäume trat.
    Kaitlyn wappnete sich für Kampf oder Flucht – aber vorher wollte sie wissen, wer das war. Sie musste das Gesicht der Person sehen, ehe sie aus ihrer Erstarrung wieder herausfand.
    Die Gestalt kam näher. Unter ihren Füßen knisterte das trockene Laub. Das Mondlicht schien ihr jetzt ins Gesicht, auf die leicht abfallenden Augen und das sanft gewellte braune Haar. Es war der Mann, der sie am Flughafen festgehalten hatte.
    Er trug jetzt kein rotes Gewand, sondern normale Straßenkleidung. Er kam frontal auf sie zu. Sehr schnell.

KAPITEL SIEBEN
    Kait entschied sich zu kämpfen. Oder vielmehr entschied sich ihr Körper für sie, denn er schien zu spüren, dass sie niemals den Hügel hinauf entkommen würde.
    Ihr Skizzenbuch war ein Spiralblock, dessen Bindung, ein dicker Draht, hatte sich an einem Ende aus dem Block herausgedreht – seit Wochen blieb sie immer wieder daran hängen. Jetzt ließ sie die Zeichenkohle fallen und hielt das Buch angriffsbereit vor sich.
    Auf die Augen zielen, dachte sie.
    Sie wusste, dass sie schreien sollte, doch die Kehle war ihr wie zugeschnürt.
    All das schoss ihr in den wenigen Sekunden durch den Kopf, bis der Fremde sie erreicht hatte. Obwohl sich Kaitlyn seit der Grundschule nicht mehr geprügelt hatte, wusste sie instinktiv, was zu tun war. Der Fremde griff

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