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Visite bei Vollmond

Visite bei Vollmond

Titel: Visite bei Vollmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cassie Alexander
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damit
erfüllt waren, hätte ich jetzt eigentlich gehen können, doch meine dumme, naive
Neugier ließ das nicht zu. Ich folgte ihr.
    Ã„rzte bellten Anweisungen
und die Schwestern wuselten wie Ameisen im Zimmer herum: Sie legten intravenöse
Zugänge, hängten Medikamentenbeutel auf und bereiteten sterile OP -Bestecke vor.
    Â»Hat jemand die Finger
gefunden?«, rief einer der Ärzte. »Zumindest ein paar?«, fügte er mit schriller
Stimme hinzu. Niemand antwortete ihm.
    Der Patient saß im Auge des
Sturms auf seinem Bett. Seine Arme waren ausgestreckt, und sein Gesicht war mit
Mullbinden umwickelt, durch die leuchtend rotes Blut sickerte. Neben dem Bett
stand eine Schwester und presste an den Stellen, wo seine Ohren sein sollten,
die Hände auf den Verband.
    Â»Und nicht ein Tropfen zu
trinken«, murmelte Sike, kurz bevor sie das Krankenzimmer betrat. Dann
verkündete sie: »Der Thron der Rose macht hiermit von seinem Rückrufrecht Gebrauch.«
    Abrupt hielt der Arzt inne.
Seine Handschuhe und die Hände seines Patienten waren durch das
Desinfektionsmittel bräunlich-orange verfärbt. Der Arzt war groß und schlaksig
und beugte sich wie eine krumme Acht über das Bett. Mit strenger Miene sah er
zu Sike hinüber. »Sie können ihn nicht mitnehmen – er muss dringend medizinisch
versorgt werden.«
    Sike zog den Kittel aus und
legte ihn sich über den Arm. »Gideon Strand ist Eigentum des Throns der Rose.«
    Ãœberrascht blinzelte ich. Der
Mann unter diesem dicken Verband war Gideon? Der Tageslichtagent aus meiner
Küche, der Anna begleitet hatte? Ich erkannte ihn nicht wieder. Wegen der
ganzen Mullbinden war das ja auch unmöglich.
    Â»Wir machen dennoch von unserem
Rückrufrecht Gebrauch. Ich bin im Namen von Anna Arsov hier, die bald eine
Erhabene sein wird.«
    Â»Mir ist vollkommen egal, wer
Sie sind, Lady. Sie werden ihn nicht mitnehmen.«
    Â»Gideon«, wandte sich Sike
direkt an den Patienten. Der eingewickelte Mann reagierte mit einem Stöhnen.
»Komm mit mir.« Sie schnippte mit den Fingern.
    Er begann nach dem
Pflegepersonal zu schlagen – wie King Kong auf dem Empire State Building nach
den Flugzeugen.
    Â»Fixieren!«, befahl der Arzt,
woraufhin eine Schwester losrannte, um die Gurte zu holen. Streng genommen …
hätte ich das tun müssen. Oder zumindest können. Aber in diesem Moment war ich
mir nicht sicher, auf welcher Seite ich eigentlich stand. »Zehn Milligramm
Haldol, schnell. Und bringt mir das Betäubungsgewehr!«
    Direkt vor der Tür stand ein
Gerätewagen mit Isolationsausrüstung. Mit einem Schritt hatte ich das Zimmer
verlassen und traf meine Entscheidung – hastig tippte ich den Code ein und zog
die oberste Schublade des Wagens auf. Sobald das Gewehr erreichbar war,
schnappte ich mir die Waffe und lud sie mit zwei Betäubungspfeilen.
    Mit gezückter Waffe rannte ich
in das Zimmer zurück, auch wenn ich mir nicht sicher war, auf wen ich damit
schießen sollte. Sike und der Arzt brüllten sich inzwischen gegenseitig an.
    Â»Ich habe das Recht, ihn
mitzunehmen. Er gehört meinem Thron. Wir sind für sein Wohlergehen
verantwortlich.«
    Â»Sie können ihn unmöglich
angemessen versorgen. Er bleibt hier.«
    Im Hintergrund kämpfte Gideon
mit den Schwestern. Als er die Rippen einer Kollegin aus der Nachmittagsschicht
traf, schrie die laut auf.
    Â»Was soll’s – lasst ihn
gehen!«, mahnte der Arzt, woraufhin die Schwestern ihre Versuche, ihn
aufzuhalten, einstellten. Gideon stemmte sich vom Bett hoch und taumelte, da er
nicht sehen konnte, wo er war oder wohin er ging.
    Â»Ich versichere Ihnen, dass es
das Beste für ihn ist, wenn er in meine Obhut entlassen wird«, erklärte Sike.
»Ich verfüge über alle notwendigen Dokumente.« Wieder präsentierte sie ihre
ordentlich gefalteten Papiere. »In dreifacher Ausfertigung, unterzeichnet mit
ihrem Blut. Sie müssen mich gewähren lassen.«
    Â»Er hat am ganzen Körper offene
Wunden. Das Infektionsrisiko …«
    Â»Er wird Blut bekommen.«
    Wir wussten alle, dass damit
nicht Menschenblut gemeint war. »Das können Sie auch hier vornehmen«, forderte
der Arzt.
    Sike runzelte kurz die Stirn.
»Also schön. Alle raus hier, sofort.« Sie drehte sich um, drückte mir ihren
Kittel in die Hand und schob Gideon zurück aufs Bett. Ich wollte

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