Vita Nuova
Ganze erst gar nicht passiert.« Der Capitano zahlte, und sie kehrten in den Kreuzgang zurück. »Ich schätze mal, dass Ihr Fall eher nicht vor Gericht kommt.«
»Nein. Nein, das wird außerhalb der Gerichte geregelt. Die Diagnose wurde schon vor Jahren gestellt, da gibt es keinerlei Zweifel. Die Beretta gehört übrigens ihr, habe ich das schon erzählt? Ein Geschenk von ihrem Vater. Sie haben sie in ihrem Zimmer gefunden, in einem Chaos von Perücken, erotischer Wäsche und zahllosen Fotos, die alle nur Silvana mit ihrem Vater zeigen. Ein Tagebuch haben sie auch gefunden. Das Mädchen hat ihrem Vater nachgestellt, ist ihm auf Schritt und Tritt gefolgt. Sie ist jetzt in einer Klinik irgendwo oben im Norden, aber die Probleme werden wieder anfangen, sobald sie rauskommt und die Tabletten absetzt.«
»Ja, aber vielleicht bessert sich ihr Zustand ja auch, jetzt, wo Vater und Schwester nicht mehr sind.«
»Die Ärzte glauben das nicht. Sie sagen, dass die Tabletten ihre einzige Chance sind.«
»Was die Menschen ihren Kindern alles antun.«
»Ich weiß nicht …«
»Aber Sie haben doch selbst gesagt, dass ihr Vater eine Art Ungeheuer war.«
»Ja, natürlich, das war er. Er hat mir Angst eingejagt, das gebe ich gerne zu, aber ich habe schon vor langer Zeit damit aufgehört, Schuldzuweisungen zu machen. Die Tochter schlägt ganz nach dem Vater. Welch wohlklingenden Namen sie dieser Krankheit auch gegeben haben, sie ist verrückt, und sie ist ebenso gefährlich wie ihr Vater. Sie hat nur nicht seine Klasse. Ich mach mir Sorgen um die Mutter, sie ist das geborene Opfer, wie Daniela, ihre Tochter. Nun ja, die Hauptsache ist erst einmal, dass wir De Vita losgeworden sind.«
»Aber Paoletti hätten Sie lieber im Gefängnis gesehen.«
»Nein, eigentlich nicht, so ist es besser, sicherer für alle.«
»Wo ist Ihr Fahrer …?«
»Ich habe ihn zurückgeschickt. Ich laufe zurück. Muss unterwegs noch kurz bei ein oder zwei Leuten reinschauen, und in der Stadt ist nirgendwo Platz zum Parken. Sie haben gar nicht erzählt, was für Neuigkeiten es über die beiden Kinder aus dem Hotel gibt.«
»Das Ganze artet in einen unglaublichen bürokratischen Alptraum aus. Es gibt nichts Neues, wahrscheinlich zieht sich das noch über Jahre hin. Der Staatsanwalt hat sie irgendwo draußen auf dem Land untergebracht. Sie sind dort glücklich und in Sicherheit. Aber sie brauchen Papiere, damit sie bleiben können. Auch wenn die beiden Schwestern Waisen sind, so haben sie doch lebende Verwandte in Russland.«
»Verwandte, die sie verkauft haben.«
»Ja. Die Ältere der beiden könnte eine entsprechende Aussage vor Gericht machen. Wichtig ist erst einmal, dass das Ganze nicht zu einem diplomatischen Zwischenfall eskaliert, das wäre das Schlimmste, was passieren könnte, denn dann wird uns nichts anderes übrigbleiben, als sie zurückzuschicken. Besser, wir tasten uns sachte vor, machen möglichst wenig Aufhebens.«
»Das heißt, wir müssen Nesti ausbremsen. Wenn er nicht gewesen wäre … Na gut, ich werde es versuchen.«
Die Wache salutierte, und der Capitano kehrte in sein Büro zurück.
Der Maresciallo wanderte am Arno entlang. Die Suche nach Cristina hatte er inzwischen aufgegeben. Sie war nicht da gewesen, als die Männer des Capitano die Razzia im Hotel durchgeführt hatten. Die anderen Tänzerinnen hatten sie schon seit Tagen nicht mehr gesehen. Sie hatte auch keinen Kontakt zu Maddalena aufgenommen. Nicht völlig ausgeschlossen, dass sie spärlich bekleidet unter einem anderen Namen in irgendeiner Fernsehshow mit dem Hinterteil wackelte. Der Maresciallo war sich keineswegs sicher, ob er sie erkennen würde, wenn er sie sähe. Die Mädchen waren alle so hübsch, dass man sie nur schwerlich auseinanderhalten konnte.
Als er zurückkam, sah er eine Frau im Warteraum sitzen. Mit einem kurzen Nicken wollte er an ihr vorbei in sein Büro.
»Maresciallo?«
Er blieb stehen. »Oh, Signora! Und Piero! Kommen Sie, kommen Sie rein.«
»Ich wollte nicht stören …«
»Nein, nein, Sie stören nicht. Setzen Sie sich doch.« Er hängte seine Schirmmütze an einen Haken und steckte die Sonnenbrille in die Hemdtasche.
»Hallo Piero! Na, kleiner Mann, wo kommt ihr denn her?«
»Ich habe neue Sportschuhe bekommen. Hier!« Er rannte durch das Büro, damit der Maresciallo die kleinen bunten Lichter an den Fersen blinken sah.
»Ach du meine Güte! Wo gibt es die denn zu kaufen? Solche hätte ich auch gerne.«
»Kein Problem. Sie haben
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