Vita Nuova
wach und fühl mich gut.«
»Das kann ich verstehen. Aber … selbst als … Was da mit Daniela passiert ist … der kleine Piero … das muss Sie doch schrecklich aufgeregt haben, ganz unabhängig von den Medikamenten.«
»Er hat ihr dieses wunderhübsche Goldkettchen geschenkt. Ich habe nur eine ganz normale, langweilige Kette mit einem Kreuz dran bekommen und eine Uhr. Sie durfte die ganze Klasse zu einer Party einladen und hat ein weißes Samtkleid bekommen mit langen, engen Ärmeln, die unten spitz zulaufen und in einem Perlenring enden, den man über den Mittelfinger zieht. Mamma hat die Perlen aufgenäht und ihr einen Maiglöckchen-Kranz gebastelt, aus grünem und weißem Samt.«
Große Tränen kullerten ihr die Wangen hinunter, aber sie schien keineswegs hysterisch zu werden. Er unterbrach sie nicht, reichte ihr schweigend sein Taschentuch.
»Maresciallo? Wir wären dann so weit …«
»Sagen Sie dem befehlshabenden Offizier, dass er mir zwei Männer abstellen soll. Ich brauche hier noch ein bisschen. Und würden Sie bitte meinem Fahrer Bescheid geben?«
»Ja, natürlich. Der Chef hatte sowieso vor, bis zum Eintreffen des Arztes zwei Männer hier zu postieren. Sie stehen dahinten am Vorhang … Ach ja, da war noch dieses andere Mädchen … keine Tänzerin, die …«
»Ach ja.« Guarnaccia stand auf, um kurz nach dem Mädchen zu sehen. »Können Sie einen Augenblick hierbleiben, bitte?«
»Wo gehen Sie hin? Lassen Sie mich nicht allein! Sie dürfen mich nicht allein lassen.«
»Ich lasse Sie ja nicht allein. Ich will nur all diese Leute wegschicken, damit wir uns in Ruhe unterhalten können.«
Er ging nach draußen zu Danuta, die in einem Hinterzimmer wartete. Mit bleichem, verängstigtem Gesicht starrte sie ihn an.
»Schon gut, ich kümmere mich um Sie.«
»Sie hat gesagt, dass er gesagt hat, dass sie mich hierher bringen soll, dass ich nicht mit dem Zug fahren soll. Ich kann nichts dafür.«
»Das interessiert jetzt niemanden mehr, Danuta. Es ist vorbei. Er ist tot.«
Verängstigt blickte sie zu dem großen Ledersessel mit dem Leichnam.
»Sehen Sie mich an, Danuta. Sie brauchen keine Angst mehr zu haben. Hat sie so etwas früher schon einmal gemacht?«
»Sie ist schon die letzten beiden Male mitgekommen. Beim ersten Mal hat er sie nicht erkannt.«
»Aber beim zweiten Mal schon, nicht wahr?«
»Damals hatte sie auch eine Perücke auf, aber er hat sie erkannt … Was passiert denn jetzt?«
Der Leichnam war plötzlich in bunte Farben getaucht. Stimmen riefen Befehle. Es wurde dunkel. Dann wurde der Raum langsam wieder von kaltem, weißem Licht erhellt.
»Er hat sich bewegt, er ist nicht tot. Ich hab gesehen, dass er sich bewegt hat.«
»Nein, nein. Das waren nur die tanzenden Lichter. Sie wollen einen stärkeren Scheinwerfer auf ihn richten, damit der Arzt genug Licht hat.«
»Er hat den Arm bewegt.«
»Nein, nein …« Er wandte sich an die Carabinieri. »Bleiben Sie bei ihr. Ich nehme sie später mit nach Florenz.«
Er kehrte zu Silvana zurück.
»Lassen Sie mich nicht allein«, wiederholte das Mädchen mit tonloser Stimme.
»Keine Sorge, ich gehe nicht.«
Es war jetzt ganz still in dem großen Raum. In der Mitte vor der Bühne leuchtete ein Scheinwerfer Paolettis zusammengesunkenen Leichnam hell aus.
»Papà …«
»Sehen Sie nicht hin. Sehen Sie mich an. Erzählen Sie mir, wie Sie von diesem Club hier erfahren haben.«
»Von einem Mädchen, das als Reinigungskraft eingesetzt wurde. Sie ist zu mir zurück ins Büro gekommen und hat mich gebeten, ihr einen anderen Job zu besorgen, denn sie konnte diesen inkontinenten alten Mann einfach nicht länger ertragen. Sie hat mir erzählt, dass Papà sie als Tänzerin abgelehnt hatte, weil ihre Brüste zu klein waren. Da habe ich begriffen, was aus all den hübschen Mädchen wird, die ich auf die Liste gesetzt hatte. Keine Empfangsdamen und auch keine Models, sie sind alle hierhergekommen. Da habe ich einfach den Namen eines hässlichen Mädchens auf die Liste gesetzt und ihren Platz eingenommen.«
»Sie waren es also, die die Liste zusammengestellt hat. Aber hat Mauro Sie denn nicht erkannt? Er hat Sie doch hergefahren, oder?«
»Schon, aber ich hab eine Perücke aufgesetzt und nichts gesagt. Wenn sie hier ankommen, können sie kein Italienisch. Er hat uns einfach hinten in den kleinen Bus geschoben, uns keines Blickes gewürdigt.«
»Verstehe. Aber Ihr Vater hat Sie doch bestimmt erkannt.«
»Natürlich! Beim ersten Mal musste er
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