Vita Nuova
Augen. Darum. Sie schlief gerne lange. ›Und bis sie die Kugel finden … das ist Sache der Spurensicherung.‹ Guarnaccia drehte sich um, zog Teresas Kissen zu sich rüber, knuffte es zurecht und schlief wieder ein.
3
Es war ein trüber, grauer Morgen. Wenn es doch nur endlich richtig regnen würde! Manchmal waren ein paar winzige Tropfen zu spüren, aber für einen ordentlichen Schauer reichte es nicht, nur die Luftfeuchtigkeit nahm immer weiter zu. Die Häuser in der Innenstadt wirkten schmuddelig, und wegen des geringen Verkehrs, drängte sich an Stelle der gewohnten Abgase immer häufiger der Geruch der Abwässer in den Vordergrund. Der Fahrer des Maresciallo bahnte sich einen Weg zur Piazza Pitti, drängte sich statt durch Autoschlangen durch dahintrottende Touristengruppen. Guarnaccia verschanzte sich hinter den dunklen Gläsern seiner Sonnenbrille vor dem stechend grellen Licht. Nach dem kurzen Besuch in der Wissenschaftlichen Fakultät in der Viale Morgagni und einer Stunde Arbeit am Schreibtisch hätte er am liebsten schon wieder geduscht.
Sie fuhren über den Ponte Santa Trinità, um auf die andere Seite des niedrigstehenden, träge dahinfließenden Arno zu gelangen. Touristen posierten für Fotos mit dem Ponte Vecchio als Hintergrundmotiv. Die Welt schien eintönig grau, nicht einmal die Hügel hinter dem Fluss waren zu erkennen.
»Soll ich warten, oder soll ich lieber später wiederkommen?«
»Bitte warten Sie, dann können Sie mich anschließend zur Villa hochfahren«, entschied der Maresciallo.
Doch als sie das Hauptquartier in der Via Borgo Ognissanti erreicht hatten, setzte der Wagen des Capitano gerade aus dem Kreuzgang heraus. Der Fahrer hielt an, und das Fenster an der Beifahrerseite wurde heruntergefahren.
»Tut mir leid, Guarnaccia. Ein Notfall. Ein neuer Zwischenfall bei den Zigeunern. Die Presse hat schon Wind davon bekommen und macht Stimmung gegen den Bürgermeister, weil er den Zigeunern dort eine Bleibe gegeben hat. Ich muss ihm die neuesten Informationen bringen und mit ihm beratschlagen, bevor er im Palazzo Vecchio eine Pressekonferenz einberuft. Kommen Sie doch einfach mit, dann können Sie mir unterwegs Bericht erstatten. Ihr Fahrer kann uns folgen.«
Der Maresciallo instruierte seinen Fahrer entsprechend und setzte sich dann auf den Rücksitz zu dem Capitano ins Auto.
»Wie läuft’s denn so?«
Der Maresciallo ließ die Frage erst einen Moment sacken. »Ach, ich weiß nicht. Es ist schwierig. Keine Ahnung, was da wirklich vor sich geht …«
»Sie haben den Eindruck, dass die Dinge dort nicht so sind, wie sie scheinen, und das macht Ihnen Sorgen?«
»Nein, das ist es nicht. Was mir zu schaffen macht ist, dass das alles keinen Sinn ergibt … Warum zum Beispiel kauft jemand solch ein Anwesen und lässt dann Handwerker und Bagger kommen, um alles auf den Kopf zu stellen und etwas ganz anderes daraus zu machen? Warum hat er es dann überhaupt erst gekauft?«
»Das ist auch mir ziemlich schleierhaft. Ich habe das Anwesen mal gesehen, in grauer Vorzeit, als es unbewohnt war. Von dieser Art mittelalterlicher Villen gab es hier in der Gegend früher jede Menge, alle nur zwei bis drei Kilometer von der Stadt entfernt. Auf alten Gemälden sind sie oft noch zu sehen, aber die meisten Häuser gibt es inzwischen längst nicht mehr, gehörten damals dem reichen Mittelstand.«
»Ach … ich dachte, das sei mindestens Adel gewesen.«
»Nein, nein, ganz und gar nicht. Die bedeutenden Adelsfamilien haben sich auf Landsitze zurückgezogen, die viel weiter draußen lagen. Nein, hier haben sich gutsituierte Händler und Bankiers und so was in der Art, einen Zufluchtsort geschaffen, um sich vor Feinden oder auch vor der Pest in Sicherheit zu bringen und für harte Zeiten ein bisschen Obst, Gemüse und Wein anzubauen.«
»Ich will mich ja nicht als großer Kenner der Architektur aufspielen, aber ich finde es wirklich schade, dass er das alles hier so einfach zerstört.«
»Da haben Sie wohl recht, aber so was passiert doch ständig: Großzügig angelegte, herrschaftliche Anwesen werden kurzerhand in winzige Parzellen aufgeteilt, und oft genug treten Banken als Käufer auf. Spekulationsgeschäfte halt.«
»Aber er wohnt dort!«
»Wie lange wohl noch? Wenn die Arbeit getan ist, verscherbelt er das Ganze und streicht dabei wahrscheinlich ein Vermögen ein.«
»Hmm.«
»Also gut, bleiben Sie weiter an der Sache dran. Haben Sie an der Uni irgendetwas in Erfahrung bringen
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