Vita Nuova
doch gesagt, dass Sie sich schlafen legen sollen. Warum hatten Sie es denn so eilig, in eine leere Wohnung zurückzukehren? Ich habe schön ausgeschlafen, und dann habe ich Ihrem Kollegen da draußen einen kurzen Besuch abgestattet. Piazza, er …«
»Was hat er gesagt?«
»Zu mir? Nichts, das können Sie sich doch denken. Aber es hat mich gewundert, dass Sie noch nicht dort waren. Ihnen hätte er bestimmt mehr verraten. Sah aus, als hätte ich ihn zu Tode erschreckt, also wird er eine ganze Menge wissen. Hab’s ja gesagt.«
»Lassen Sie ihn in Ruhe, Nesti, bitte.«
»Das ist eine heiße Sache, eine ganz heiße Sache. Und er weiß alles, da bin ich mir sicher. Wenn Sie heute Morgen sein Gesicht gesehen hätten …«
»Nesti …«
»Ist er ein Freund? Ist es das? Oder schulden Sie ihm was?«
»Nein.«
»Sie stellen sich also nur vor ihn, weil er Carabiniere ist, weil er zur Truppe gehört? Hat Cristina Ihnen denn nichts von den kleinen Mädchen –«
»Lassen Sie ihn in Ruhe … zumindest für den Augenblick noch, bitte.«
»Nur für den Augenblick? Dann haben Sie jetzt was in der Hand? In Ordnung, aber nur unter einer Bedingung: Ich lasse den Mann bis auf weiteres zufrieden, dafür halten Sie mich auf dem Laufenden … das heißt, wenn die Bombe platzt, will ich der einzige Journalist vor Ort sein.«
»Wann sind Sie denn schon einmal nicht als Erster auf der Bildfläche erschienen?«
»Nicht nur der Erste – ich will der Einzige sein, der darüber Bericht erstattet. Das wird nicht ganz einfach werden, jetzt, wo meine Artikel raus sind. Ich habe mich an unsere Abmachung gehalten, Ihr Name taucht nirgendwo auf, nicht einmal in dem Artikel über Paolettis Vergangenheit, den ich auf Ihren Wunsch hin geschrieben habe.«
»Hmmpf.«
»Was soll das denn heißen?«
»Aus amtlicher Quelle haben Sie geschrieben … genauso gut hätten Sie mich direkt zitieren können, wer soll Ihnen denn sonst die Informationen gegeben haben? Schließlich weiß jeder, dass ich den Fall bearbeite.«
»Was ist denn nun schon wieder mit Ihnen los? Ich hab gedacht, Sie wären mir dankbar. Wenn ich Ihnen nicht die Info über Paoletti verschafft hätte, wo wären Sie dann jetzt mit Ihrem Fall?«
»Nirgendwo.« Wo er zu gerne hin verschwunden wäre. Er war unfair. Nesti wusste nichts von dieser Liste in Piazzas Aktenschrank, obwohl er eigentlich clever genug sein müsste, von selbst darauf zu kommen, dass so etwas existierte. Dann müsste er vorsichtiger agieren, Rücksicht auf andere nehmen und dürfte nicht immer nur auf den eigenen Vorteil bedacht sein …
Er tat es schon wieder! Befand darüber, wie Nesti seine Arbeit zu tun, welche Prioritäten er zu setzen hatte. Wie kam er dazu, Nesti zu kritisieren? Der Mann war ein erfahrener Journalist … und hatte – ganz im Gegensatz zu ihm – seine Karriere noch vor sich. Er behielt seinen Vorteil im Auge, während …
»Guarnaccia?«
»Wie bitte?«
»Ich dachte schon, wir wären unterbrochen worden.«
»Nein.«
»Aber wenn ich richtig verstehe, sind Sie über das Interview nicht gerade begeistert, auch wenn ich Ihren Namen mit keiner Silbe erwähnt habe … Ich hoffe, Ihnen hat zumindest meine Krawatte gefallen. Seide, Handarbeit. Habe sie mir extra für eine besondere Gelegenheit aufgehoben.«
»Krawatte?« In der Zeitung hatte er nichts von einem Interview gelesen. » Krawatte? «
»Sie haben es nicht gesehen, oder? Ich wollte ja Bescheid sagen, aber ich bin einfach nicht dazu gekommen.«
»Sie haben ein Interview gegeben? Im Fernsehen? Über diesen Fall?«
»In den Regionalnachrichten um halb acht im Dritten. Aber achten Sie drauf, morgen werden sie es auch in den Hauptnachrichten bringen.«
»Nesti!« Wieso sich jetzt noch aufregen? Die Sache würde so oder so ihren Lauf nehmen. Von Anfang an hatte er gewusst, dass er die Fäden nicht in der Hand behalten konnte. Er beendete das Gespräch, ließ sich in die kühlen Polster des Ledersofas sinken und starrte mit leerem Blick auf die lautlos flackernden Bilder auf dem Fernsehschirm. Den Hörer hielt er noch immer in der Hand. Er zwang sich, die Bilder auf dem Schirm wahrzunehmen, sie zu verstehen, spornte sich an, den Film oder was immer sie gerade zeigten, bis zur nächsten Werbepause zu verfolgen. Dann würde er noch einmal versuchen, Teresa zu erreichen. Irgendwann musste sie ja heimkommen. Die Jungs sollten nicht so lange aufbleiben, auch wenn sie Ferien hatten. Sie befanden sich noch immer in der Wachstumsphase und
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