Vita Nuova
Menge elektronisches Zeugs, und ein Wirrwarr weißer und schwarzer Kabel hing davon herunter. In dem Zimmer befanden sich noch mehr Kisten. Große Kisten, die mit glänzendem Paketband zugeklebt waren und auf denen der Inhalt mit einem schwarzen Filzstift vermerkt worden war: ›Büromaterial‹, ›Ersatzlampen‹, ›Sommerschuhe‹. Das ließ vermuten, dass diese Kisten seit dem Einzug der Familie hier herumstanden, was wahrscheinlich auf den angegriffenen Gesundheitszustand von Signora Paoletti zurückzuführen war.
Guarnaccia machte das Licht aus, durchquerte das Vestibül und steuerte die nächste Tür an. Wieder klopfte er, wartete einen Augenblick und betrat dann den Raum. Ein großer Saal, doppelt so groß wie die Bibliothek, ein kombiniertes Wohn- und Esszimmer, nur von einem Gewölbebogen getrennt. Sechs hohe Fenster, deren Läden geschlossen waren, noch mehr kostbare Teppiche, eine riesige Vase mit künstlichen Blumen. Aber auch hier standen drei große Kisten.
Ein in die Jahre gekommener Mann, der sich für den Ruhestand ein reputierliches Ansehen aufbaute, Lichtjahre entfernt von dem Luden, der unten im Park seine Pferdchen laufen hatte.
Wie immer war die Person, mit der er unbedingt sprechen wollte, tot. Daniela Paoletti schien sich von dieser Scheinwelt distanziert zu haben. Ihre Zimmer waren einfach möbliert, ohne jeden Schnickschnack, die Bücher in ihren Regalen hatte sie gelesen. Hätte sie das Haus nach dem Studium verlassen? ›Unsere Untermieterin‹, so hatte die Mutter sie genannt.
Er verließ das Zimmer und ging zurück, vorbei an dem eisernen Geländer der Treppe nach unten in die Küche. Weiter hinten führte eine weitere Treppe nach oben ins nächste Stockwerk, dahinter befanden sich noch ein Bad und das provisorische Kinderzimmer. In der Grabesstille machten seine Schritte auf dem Steinboden einen Heidenlärm. Wasser rauschte, und die Tür zum Bad ging auf. Frida kam heraus, barfüßig, nur mit einem langen T-Shirt bekleidet.
»Alles in Ordnung?«
Sie nickte.
»Schläft der Kleine?«
Sie nickte wieder. Er war sich nicht sicher, ob sie ihn überhaupt verstand.
»Frida!« Piero kam im Unterhemd aus seinem Zimmer gestürzt, das Kuscheltier an der Nase hinter sich herziehend. Als er den Maresciallo erblickte, blieb er wie angewurzelt stehen.
»Solltest du nicht längst im Bett sein? Es ist schon sehr spät.«
»Ich muss auf Frida warten. Gucken Sie mal.« Er zeigte Guarnaccia sein Kuscheltier. »Wissen Sie noch, wie es heißt?«
»Ach du meine Güte, das habe ich vollkommen vergessen.«
»Das ist Nasi.«
»Nasi, richtig, jetzt weiß ich es wieder.«
»Aber nicht wieder vergessen!«
»Nein, nein, ich merk’s mir. Aber nun sei schön brav, Frida zuliebe.«
»Frida ist jetzt meine Mami.«
»Gute Nacht.«
Er wartete, bis die beiden ins Zimmer verschwunden waren und die Tür hinter sich geschlossen hatten. Das Handy klingelte.
»Maresciallo?«
»Wo stecken Sie?«
»Piazzale Michelangelo.«
»Wie bitte?«
»Ich bin dem Mini gefolgt … ich glaube nicht, dass sie mich gesehen hat. Zuerst sind sie zum Bahnhof gefahren. Das blonde Mädchen ist ausgestiegen und reingegangen. Ich nehme also an, dass sie mit dem Zug weitergefahren ist. Ich habe dann den Wagen weiterverfolgt. Hätte ich lieber die Blonde verfolgen sollen? Sie haben gesagt …«
»Nein, nein, Sie haben alles richtig gemacht. Sie ist tatsächlich dort hinaufgefahren? Was will sie da?«
»Keine Ahnung. Sie hat das Auto geparkt und ist zuerst in diese kleine Bar. Dann ist sie zur Balustrade gegangen und hat wie alle anderen den Ausblick auf die Stadt bewundert. Hier wimmelt es von Touristen, deswegen habe ich das Auto so geparkt, dass ich ihren Wagen im Auge hab. Ich hatte Angst, dass ich sie in der Menge verliere, wenn ich aussteige … Warten Sie einen Augenblick. Jetzt kann ich sie wieder sehen. Sie steht immer noch an der Balustrade, redet mit ein paar amerikanischen Studenten. Sie wollen sie wohl überreden, aus einer Weinflasche zu trinken. Sieht ganz danach aus, als lachten sie sie aus. Was soll ich tun?«
»Nichts. Sagen Sie, was hat sie an?«
»Es ist ziemlich dunkel. Diese großen, weißen Kugeln geben kaum Licht.«
»Aber Sie haben sie doch beim Einsteigen gesehen. Ich weiß, da war es auch schon dunkel, aber versuchen Sie es bitte. War der Rock kurz oder lang?«
»Na, das kann ich Ihnen genau sagen. Der war kurz, ultrakurz. Ich meine, es ist gar nicht so einfach, in einen Mini zu steigen … und
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