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Vittorio

Vittorio

Titel: Vittorio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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ausgebesserten Steine ihrer Fassaden hatten offensichtlich den häufig auftretenden Erdbeben dieser Region standgehalten.
    Es gab zwei sehr gewöhnliche Buchläden, die nicht viel zu bieten hatten, nur die üblichen Gebetbücher, die noch dazu sehr teuer waren. Zwei Händler verkauften wirklich edle Waren aus dem Osten. Und es gab ein Häufchen Teppichhändler, die eine eindrucksvolle Auswahl an in-ländischer Ware und Teppiche aus Byzanz mit den typi-schen verschlungenen Mustern anboten.
    Jede Menge Geld wechselte den Besitzer. Gut gekleidete Bürger flanierten stolz in ihren feinen Anzügen. Zwar ritten Reisende unter Hufgeklapper, das von den kahlen Mauern widerhallte, den Hang hinan, doch schien sich die Stadt insgesamt selbst genug zu sein. Ich erspähte einen heruntergekommenen und stark befestigten Konvent.
    Mindestens zwei weitere Gasthäuser lagen an meinem Weg, und während ich kreuz und quer durch die engen, unwegsamen Gassen schritt, stellte ich fest, dass die Stadt genau genommen drei Hauptstraßen hatte, die sich parallel den Hügel auf und ab schlängelten. Am unteren Ende lagen die Tore, durch die ich gekommen war, und auf der Piazza öffnete nun der große Markt mit den Bau-ernständen.
    Am oberen Ende der Stadt lag die verfallene Festung oder Burg, ehemals Wohnsitz eines Fürsten - eine un-förmige, plumpe Anhäufung alter Steinquader, die man nur teilweise von der Straße aus sehen konnte, und im unteren Bereich dieses Komplexes hatte man die Amtsstuben der Stadt eingerichtet.
    Es gab einige kleine, ummauerte Plätze, und alte Brunnen bröckelten vor sich hin, wenn sie auch noch glu-ckernd das Wasser hervorsprudeln ließen. Alte Frauen, die trotz der Wärme in Schals gehüllt waren, schlurften geschäftig mit ihren Marktkörben dahin. Hübsche Mädchen, alle noch sehr jung, liebäugelten mit mir. Ich wollte nichts von ihnen. Nachdem die Messe geendet und die Schule begonnen hatte, ging ich zur Kirche der Dominikaner - auf einen Blick sah ich, dass sie die größte und eindrucksvollste der drei Kirchen war - und fragte in der Pfarrei nach einem Priester. Ich musste beichten.
    Ein junger Geistlicher kam, sehr ansehnlich, gut gebaut, mit blühendem Teint und wahrhaft andächtigem Auftreten; seine schwarz-weiße Kutte war sehr sauber. Er musterte meine Aufmachung und mein Schwert, betrachtete mich sehr gründlich, wenn auch ehrerbietig, und zog den eindeutigen Schluss, dass ich eine Person von Stand war. Dann bat er mich in ein kleines Gelass, wo ich beichten konnte.
    Er verhielt sich eher wohlwollend als servil. Er hatte nur einen Kranz goldblonden Haares, das rings um den kahlen Oberkopf sehr kurz geschnitten war, und seine gro-
    ßen Augen wirkten beinahe schüchtern. Er setzte sich nieder, und ich kniete mich dicht neben ihm auf den nackten Boden. Und dann strömte die ganze schauerliche Geschichte aus mir heraus. Mit gesenktem Kopf redete ich fort und fort, hetzte von einem Ereignis zum anderen, von den ersten unheimlichen Geschehnissen, die mich so in Neugier und Aufregung versetzt hatten, über die bruchstückhaften, mysteriösen Bemerkungen meines Vaters, bis hin zu dem Überfall selbst und den fürchterlichen feigen Morden an allen Mitgliedern unseres Gemeinwesens. Als ich zum Tod meiner Geschwister kam, war ich so weit, dass ich wild gestikulierte und die Umrisse vom Kopf meines Bruders mit den Händen in die Luft malte. Ich keuchte und war kaum zu atmen fähig.
    Erst als ich das letzte Wort gesprochen hatte, sah ich auf und merkte, dass mich der junge Priester voller Not und Grauen anstarrte. Ich wusste nicht, was ich von seinem Gesichtsausdruck halten sollte. Diese Züge konnten einem Menschen ins Gesicht geschrieben sein, der sich vor einem Insekt erschrocken hatte, wie auch einem, dem sich gerade eine ganze Kompanie blutrünstiger Mörder näherte.
    Was, um der Liebe Gottes willen, hatte ich denn erwartet? »Seht, Vater«, sagte ich. »Ihr braucht einfach nur jemanden auf den Berggipfel zu schicken, damit er sich mit eigenen Augen überzeugt!« Ich hob die Schultern und machte eine inständig bittende Geste. »Sonst nichts!
    Schickt jemanden, der es sich ansieht. Nichts ist gestohlen worden, Vater, nichts fortgenommen, außer was ich an mich nahm! Geht, seht es Euch an! Ich wette, nichts ist zerstört worden, wenn nicht durch Raubvögel und Raben, die möglicherweise dort oben fliegen.«
    Er sagte nichts. Das Blut pochte in seinem jugendlichen Gesicht, sein Mund stand offen, und seine

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