Viva Espana
Appetit, stimmt's?"
Unvermittelt ließ Davina das Brötchen, das sie gerade hatte auseinander brechen wollen, auf den Teller fallen, als wäre es glühend heiß. Sie wagte nicht, Ruy anzusehen.
Dass der so ruhig und distanziert wirkende Mann neben ihr derselbe war, der ihr noch vor wenigen Stunden zärtliche Worte zugeflüstert hatte, war kaum zu glauben.
Er ist noch gar nicht richtig wach und träumt wahrscheinlich von Carmelita, überlegte Davina. Das erklärte natürlich, warum er sie jetzt so kühl behandelte. Er wollte ihr offenbar zu verstehen geben, dass er für sie nichts empfand.
„Heute lerne ich reiten", verkündete Jamie, während er seinen Orangensaft trank.
„Rodriguez hat es mir versprochen. Und mein Daddy nimmt mich mit zu den Stieren. Sie sind sehr groß, und ich darf nicht allein zu ihnen gehen."
Davina sah Ruy an. Er sollte ihr bestätigen, dass er wirklich vorhatte, den Jungen mit zu den Stieren zu nehmen. Aber er war in seine Post vertieft und las einen langen Brief, der auf lavendelfarbenem Papier geschrieben war. Er duftete nach irgendeinem Parfüm, woraus Davina schloss, dass er von einer Frau war.
„Kommst du mit in die Ställe?" fragte Jamie.
„Deine Mutter will bestimmt nicht riskieren, dass ihr Kleid schmutzig wird", antwortete Ruy für Davina und warf ihr einen warnenden Blick zu.
„Oh, ich kann mir doch meine Jeans anziehen, das ist kein Problem", wandte sie ein und lächelte betont unschuldig. Offenbar wollte Ruy sie nicht dabeihaben. Doch nur weil sein Vater ihre Anwesenheit nicht ertragen konnte, würde sie es sich nicht nehmen lassen, ihren Sohn zu begleiten.
Zehn Minuten später waren alle drei auf dem Weg zu den Ställen. Jamie plapperte ganz aufgeregt und unbekümmert, während seine Eltern eisern schwiegen.
Obwohl es kein weiter Weg war, hatte Davina sich vorsichtshalber einen Strohhut mit breiter Krempe aufgesetzt. Sie wollte nicht wieder so leiden wie am Tag zuvor. Jamie trug auch seine Kappe, doch Ruy hatte auf eine Kopfbedeckung verzichtet. Sein Haar glänzte in der Sonne blauschwarz und betonte seine gebräunte Haut.
Nur drei von den sechs oder sieben Boxen waren besetzt. Die Pferde in den beiden Ersten würden für Arbeiten auf der Estanzia eingesetzt, weil man mit ihnen an Stellen gelangen konnte, die auch mit dem allradbetriebenen Wagen nicht zu erreichen waren, erklärte Ruy seinem Sohn. Außerdem würden sich die Stiere dadurch an den Geruch von Pferden gewöhnen. Er erzählte Jamie alles, was er über die Tradition des Stierkampfs und über die andalusische Pferdezucht wissen musste.
Davina erinnerte sich an Cadiz, Ruys andalusischen weißen Hengst, auf dem er mit ihr damals durch Sevilla geritten war. Sie erwähnte das Tier und wunderte sich, warum Rodriguez leicht den Kopf schüttelte, als wollte er sie warnen.
„So ein hochgezüchteter Hengst ist nichts für einen Mann, der behindert ist", entgegnete Ruy hart. „Cadiz kann mich nicht mehr respektieren und akzeptieren."
Sekundenlang befürchtete Davina, er hätte den Hengst töten lassen, so wie es die Kalifen getan hatten, als die Mauren die Araber, ihre Zuchtpferde, mit nach Spanien gebracht hatten. Doch zu ihrer Erleichterung fügte Ruy dann hinzu, Cadiz sei jetzt im Zuchtbetrieb seines Freundes.
„Das Tier sehnt sich nach den grünen Weideflächen hier bei uns", meinte Rodriguez.
Zum ersten Mal klang seine Stimme leicht vorwurfsvoll.
„Cadiz muss genau wie wir alle lernen, dass das Leben nicht immer so ist, wie man es sich wünscht", erklärte Ruy. „Es ist dumm von mir, ihn zu behalten. Ich hätte ihn verkaufen sollen. Reiten kann ich ihn sowieso nicht mehr."
„Wo ist mein Pony?" fragte glücklicherweise in dem Moment Jamie.
Davina konnte sich gut vorstellen, wie schmerzlich es für Ruy gewesen sein musste, sich von dem Hengst zu trennen. Sie hatte ihn einige Male beim Reiten beobachtet, und ihr war jedes Mal aufgefallen, was für eine Einheit die beiden gebildet hatten. Pferd und Reiter hatten stolz und erhaben gewirkt, jeder auf seine Art.
„Dahinten ist dein Pony." Rodriguez hob Jamie hoch, so dass er das Tier sehen konnte, das in der Box stand.
Davina warf Ruy einen Blick zu und war überrascht über seine sehnsüchtige Miene.
Sie erbebte, als ihr bewusst wurde, dass er für einen kurzen Augenblick seine Gefühle gezeigt hatte.
„Was ist los?" fuhr er sie sogleich an. „Darf ich etwa keine Emotionen haben und mir wünschen, ich könnte meinen Sohn selbst aufs Pony
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