Viva Espana
einzugestehen, was er für Sie empfindet. Sie sind immerhin seine Frau, und für einen Spanier ist die Ehe geradezu heilig."
Als Davina den Kopf schüttelte, fragte er: „Haben Sie denn nicht gesehen, dass er unbedingt hat aufstehen wollen, obwohl er behindert ist? Begreifen Sie nicht, was das bedeutet?"
Plötzlich begriff sie es. Ihr fiel ein, was Dr. Gonzales ihr erzählt hatte. Weil Ruy zornig war, hatte er es geschafft, allein aufzustehen. Obwohl er nichts für sie empfand, fühlte er sich in seinem Stolz verletzt. Er konnte es nicht ertragen, dass sie sich vielleicht zu einem anderen Mann hingezogen fühlte. Doch war dieses Gefühl stark genug, seine seelische Blockade zu lösen?
„Ich habe ein Idee", erklärte Carlos auf einmal. „Wir beide, Sie und ich, flirten eine Zeit lang miteinander. Dann werden wir sehen, wer Recht hat. Ich bin überzeugt, Ruy hat Sie zumindest sehr gern."
Davon konnte Davina ihn dann nicht mehr abbringen. Während des Essens unterhielt er sich immer wieder mit ihr und machte ihr viele Komplimente. Sie spürte Ruys ärgerliche Blicke. Nach dem Essen entschuldigte sie sich und behauptete, sie sei müde.
Carlos ließ es sich nicht nehmen, ihr genauso intim die Hand zu küssen wie zuvor.
Deshalb wagte Davina es schon gar nicht mehr, Ruy anzusehen.
Beim Duschen dachte sie über Carlos' Bemerkungen nach. Er war sich so sicher, dass Ruy sie gern hatte. Sie wusste es jedoch besser, er liebte Carmelita. Trotzdem ist er meinetwegen so wütend gewesen, dass er sich aufrichten und stehen konnte, überlegte sie. Ihr traten Tränen in die Augen. Wie konnte sie ihm nur helfen?
9. KAPITEL
„Das sind die Stiere für die novillada ", erklärte Carlos Davina am nächsten Morgen, als sie an der eingezäunten Weide standen. „Und die größeren Tiere werden bei der Corrida, dem richtigen Stierkampf, eingesetzt. Der Stil und auch die Dauer sind bei allen Arten von Stierkämpfen gleich. Aber bei der novillada kämpfen sehr junge Matadore gegen junge Stiere. Ruy war früher einmal ein rejoneador , wie man die berittenen Stierkämp fer nennt. Es ist sehr gefährlich, und die Reiter müssen sehr geschickt sein."
Seit Davina sich zu ihm an den Frühstückstisch gesetzt hatte, erwähnte Carlos Ruy jetzt zum ersten Mal. Sie war froh, dass er von ihr nicht hatte wissen wollen, wie Ruy auf die Flirterei reagiert hatte. Ihr war klar, dass er nur helfen und bei Ruy eine Reaktion auslösen wollte. Doch zuerst musste ein Funke da sein, damit ein Brand entstehen konnte, und Ruy empfand absolut nichts für sie.
„Ruy und Cadiz waren ein gutes Team. Heute Nachmittag in Ronda werden Sie selbst sehen können, wie geschickt die rejoneadores sein müssen, obwohl keiner von den Reitern so gut ist wie Ruy", fügte Carlos hinzu.
„Warum hat er es aufgegeben?" fragte sie geistesabwesend und erbebte, während sie die kräftigen Tiere betrachtete, die hinter den elektrischen Zäunen grasten. Carlos hatte ihr erklärt, es sei für einen gereizten, nervösen Stier kein Problem, einen Zaun niederzutrampeln.
Er zuckte die Schultern. „Ich habe ihn einmal gefragt, und er hat gesagt, er würde lieber Leben entstehen lassen, statt es zu zerstören. Doch da man als Spanier so etwas im Zusammenhang mit Stierkämpfen nicht denkt und erst recht nicht ausspricht, wollte er nicht, dass es jemand erfuhr. Wir waren damals sehr eng befreundet, und ich habe verstanden, was er meinte. Zwischen einem Stier und dem Matador besteht eine seltsame Beziehung, beide wissen, dass einer von ihnen sterben muss. Deshalb haben in einem guten Stierkampf Mensch und Tier sehr viel Respekt voreinander. Es tut mir jedes Mal sehr Leid, wenn ich einen guten Stier töten muss."
Davina bekam Herzklopfen. Die spitzen Hörner der Stiere machten ihr Angst. Sie versuchte, sich vorzustellen, wie in früheren Zeiten die jungen Männer die Stiere bei den Hörner ge packt und den Tieren auf den Rücken gesprungen waren. Verglichen damit waren die modernen Sportarten trotz des intensiven Trainings harmlos. Und sie konnte auch nicht vergessen, dass Ruy von so einem Tier verletzt worden war.
Als Dolores' Mann mit zwei anderen Männern anfing, die Stiere auseinander zu treiben, liefen einige auf Davina und Carlos zu.
„Bleiben Sie ganz ruhig stehen", forderte Carlos sie auf, obwohl sich der elektrische Zaun zwischen ihnen und den Tieren befand. „Auch wenn man sich nur ganz kurz bewegt, lenkt man sie ab, und sie werden auf einen aufmerksam. Ich möchte nicht
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