Vögelfrei
bisschen, damit er mehr Bewegungsspielraum hatte und noch einige Male fester stoßen konnte. Dann kam es auch ihm, er sagte leise und rau: »Thank you, Honey.«
Wir küssten uns noch einmal lange. Ich stand bald auf, verschwitzt und klebrig, wie ich war, lächelte ihm zu und
strich im Weggehen mein Kleid glatt. Mein dunkelblaues Wunder.
Hilde nähte in der Küche, als ich nach Hause kam. »Wo warst du? Ich hab mir Sorgen gemacht.« Ihre Stimme klang gereizt.
»Unterwegs.«
Auch meine Stimme klang zickig, weil ich ein schlechtes Gewissen hatte, aber keins haben wollte. Immerhin war ich frei zu tun, was immer ich wollte.
»Und du bist nicht geneigt, mir zu sagen, wo du warst und was du gemacht hast?«
Ich seufzte. »Hilde. Ich hab ein paar Dinge erledigt, das ist alles.«
Ich zeigte ihr meine neuen Kleider, die sie nicht sonderlich begeistern konnten. »Hübsch, aber alles nichts für die Ewigkeit«, sagte sie.
Den Rest des Nachmittags verbrachten wir schweigend. Sie sprach erst wieder mit mir, als sie festgestellt hatte, dass ich ein Vorhängeschloss gekauft und an der Holzschatulle angebracht hatte. »Wieso verbarrikadierst du eine dreckige Schippe?«
»Weil«, ich versuchte ruhig und gut gelaunt zu klingen, »mir diese Schaufel alles auf der Welt bedeutet. Sie ist das Wichtigste, was ich habe.«
Sie sah mich an und meinte schließlich nach einer Weile: »Das Wichtigste, was ich habe, bist du. Sollte ich bei dir auch ein Vorhängeschloss anbringen?«
Ich beschloss, diesen Kommentar zu ignorieren. Später schien sich auch bei Hilde die schlechte Stimmung gelegt zu haben, denn sie summte beim Nähen vor sich
hin und brachte mir später eine Schale Milchreis, mit wenig Zucker und Unmengen Zimt, so, wie ich ihn am liebsten mochte.
»Musst du nicht zu deiner Aufstellung?«, fiel mir plötzlich ein, aber sie schüttelte den Kopf.
»Ich hab angerufen, heute fällt es aus. Ich hab Kopfschmerzen, da bleibe ich lieber hier und nähe.« Über den Rand meines Buchs sah ich sie am Küchentisch sitzen. Sie kam nicht besonders voran mit ihrer Stickerei, die sie gerade ausbesserte.
Am nächsten Tag stellte ich fest, dass sie meine Kleidung neu geordnet und vom Gästezimmer in ihren Schlafzimmerschrank sortiert hatte. Das Maß war voll, als sie vom Einkaufen kam und mich beim Telefonieren, ja, ich muss wohl sagen, überraschte, denn ihr Gesicht sah aus, als hätte ich es mit dem Hausmeister auf ihrem geliebten blauen Satincape getrieben. Ich verabschiedete mich von meiner New Yorker Freundin, die wissen wollte, wie es mir ging und wo ich eigentlich steckte, weil niemand mehr etwas von mir gehört hatte. Hilde kochte vor Wut; so hatte ich sie noch nie erlebt. Ich verstand nicht so recht, worum es eigentlich ging, und erzählte ihr kurz von Madita, die nach New York gegangen war und da an der Universität arbeitete.
»Ich wusste nicht, dass du ein Handy hast«, zischte sie schließlich.
Mir fiel dazu nichts ein, hatte denn nicht jeder eins? Es war in meinem Koffer gewesen, und bisher hatte ich keine Lust gehabt, mit jemandem zu sprechen. Aber Madita war meine Fachfrau für Neuanfänge und radikale Brüche, und ich hatte sie fragen wollen, wie sie in der
ersten Zeit zurechtgekommen war, ganz allein in einem fremden Land.
Hildes Laune änderte sich so schlagartig, dass mir ganz schwindlig wurde. Plötzlich strahlte sie mich wieder an.
»Guck mal, was ich gefunden habe.« Sie zeigte mir ein schwarzes Badekleid mit Röckchen. »Alles original. Ich muss nur die Kordel ersetzen und ein paar Knöpfe nachnähen, dann können wir es einweihen.«
Während sie am Küchentisch saß und summte, entdeckte ich in ihrem Korb im Flur eine Mappe mit Fotos von See-Villen. Ich blätterte darin und fand auch Grundrisse, Lagepläne und Finanzierungsvorschläge. Ich seufzte und machte mich bereit für eine grundsätzliche Aussprache. Aber Hilde erwähnte nichts davon.
Auf dem Weg zum See plauderte sie über die Badenixen-Filme der Fünfziger, und ich war froh, dass sich der Sturm offenbar gelegt hatte. Als wir zur Plattform kamen, da, wo der See am tiefsten war, ließ sie sich neben mir treiben, das schwere schwarze Badekleid vollgesogen mit Wasser.
»Weißt du, was mir an dem Haus am See am besten gefällt?« Sie klang träumerisch, und ich wagte nicht, etwas zu sagen, weil sie an meiner Stimme sofort gehört hätte, dass mich das Thema allmählich gereizt machte. »Dass der See vor der Haustür ist. Ich meine nicht nur als Ausblick
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