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Vögelfrei

Titel: Vögelfrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Andresky
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oder zum Schwimmen, sondern auch als Möglichkeit.«
    Sie sah mich mit einem schnellen Blick an, ob ich sie verstand, aber das tat ich nicht. »Wenn das Leben jenseits der Allee zu schlimm wird, kann man immer noch
in den See gehen, hinausschwimmen, sich treiben lassen und dann langsam versinken. Das ist wie Einschlafen, ganz einfach.«
    Ich starrte sie an; sie redete weiter in diesem schwärmerischen Ton. »Und das absolut größte, unglaublichste, wunderschönste Glück müsste es doch sein«, sie machte eine kleine Kunstpause, »gemeinsam in den See zu gehen, so wie man gemeinsam schlafen geht.«
    Ich konnte es nicht fassen und überlegte, wieso ich nicht gemerkt hatte, was in ihr vorging, wann unsere schwesterliche Zofenfreundschaft derartig umgekippt war, und warum ich eigentlich von einer Katastrophe in die nächste schlidderte. Hatte ich im letzten Leben irgendeinem Heiligen ein Ei abgebissen und musste jetzt dafür büßen?
    Ich versuchte, die Situation zu entschärfen, spritzte mit Wasser und lachte etwas gekünstelt: »Du hast wohl zu viele Kitschfilme gesehen. Komm, wir probieren mal, ob dein Ganzkörperoutfit einen Wettkampf aushält.«
    Ein Gewitter war aufgezogen, und noch während wir aus dem Wasser stiegen, fing es an zu regnen. Ich dankte dem Himmel dafür, dass wir gleich zurück in die Stadt fahren mussten. Den ganzen Weg nach Hause über redete und lachte ich ununterbrochen, damit sie gar nicht erst zu Wort kam und ihre makabre Idee vorbringen konnte.
    »Weißt du, was wir jetzt machen?«, sagte sie im Treppenhaus, »wir machen ein Picknick, auf einer dicken Decke im Wohnzimmer.«
    Ich sagte, das sei eine tolle Idee, und fügte seufzend hinzu: »Krabbensalat! Pomelos!« Hilde nickte sofort begeistert
und sprang die Stufen hinunter, um alles Nötige einzukaufen.
    Ich wusste, dass sie bis zum Feinkosthändler und zurück etwa zwanzig Minuten brauchen würde. In Windeseile raffte ich meine Sachen zusammen, packte alles aus dem Schrank und der Kommode in meinen Koffer, schnappte mir die Holzschatulle und stürzte ins Treppenhaus. Aber Hilde hatte offenbar etwas geahnt, denn ich hörte ihre klickenden Schnallenpumps unten im Hausflur. Ich schlich mich eine Etage höher, presste mich gegen die Wand, hielt den Atem an und hoffte, dass sie mich nicht entdeckte.
    Gerade als ich Hilde nach einer Weile doch noch die Stufen zu mir heraufkommen hörte, öffnete sich neben mir eine Tür, und eine weiße schlanke Hand zog mich in die Wohnung. Das war Gemma. Die gütigste, warmherzigste Herrin, die die Hölle je gesehen hat.

    »Pomelos.«
    Hilde sagt es tonlos und spießt ein Stück mit der Gabel auf. »Das erinnert mich an unser Picknick, das nie stattgefunden hat.«
    Ich nicke ihr zu. »Ich musste einfach gehen«, sage ich so sanft ich kann. Am Tisch wird es still. Nur die beiden Kater auf dem Sofa und die Dildos in den Blumenkübeln schnurren und surren leise. Alle sehen uns an. Jannik schenkt reihum Champagner nach.
    »Du bist nicht gegangen«, sagt Hilde, »du warst verschwunden. Wie vom Erdboden verschluckt warst du. Ich
war kaum zehn Minuten weg, aber du hattest dich völlig in Luft aufgelöst. Wie hast du das geschafft?«
    Sie klingt jetzt sehr vorwurfsvoll. Ich lege meine Hand auf ihre und nicke.
    »Das stimmt«, gebe ich zu, »ich hab mich einfach aus dem Staub gemacht, und du weißt auch, wieso. Diese Sache mit dem See war einfach nicht gesund.« Ich ziehe eine Augenbraue hoch. »Mittlerweile sind wir doch wohl quitt, wir beide, nicht wahr? Unsere offene Rechnung ist, ich möchte mal sagen, aufgegangen, und zwar in Rauch.«
    Sie wird rot und senkt den Blick. Maltes Besteck klappert. Samir beäugt finster ein Salatblatt. Obwohl ich allen Grund habe, auf Hilde wütend zu sein, weil ihre spätere Rache an mir wirklich grausam war, kann ich sie schlecht leiden sehen.
    »Ich hatte mich eine Etage höher versteckt, als du zurückkamst«, erkläre ich ihr. »Gemma hat eine Wohnung über dir. Ich war eine Nacht bei ihr, und im frühen Morgengrauen bin ich dann heimlich in ein Hotel umgezogen.«
    Immer, wenn ich über Gemma spreche, wird mein Herz warm und prall wie ein gefüllter Truthahn. Jetzt möchte ich auch den Rest erzählen, wie ich einige Monate später noch einmal zu Gemma flüchtete und bei ihr ein Wunderland aus Schmerz und Lust erlebte, aber Gemma kommt mir zuvor und sagt laut und fröhlich in die Runde: »Alles der Reihe nach, sonst gerate ich alte Frau durcheinander. Ihr wisst ja, ab Mitte

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