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Vögelfrei

Titel: Vögelfrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Andresky
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Deshalb freute ich mich, als jemand meinen Namen rief, nachdem ich schon durch die Sicherheitskontrolle gegangen war. Ich erkannte Samir auf der anderen Seite.
    Wir konnten uns nur auf Zuruf verständigen, was die Sicherheitsbeamten zwischen uns missbilligend zur Kenntnis nahmen. Ich dachte, er sei gekommen, um mich zu verabschieden, damit wir nicht im Streit auseinandergingen, aber sein Gesicht war wutverzerrt.
    »Warum hast du das gemacht?«, schrie er, und seine Gesten waren dabei noch ausladender als sonst. Ich sah ihn fragend an. Ich wollte gerade anfangen, ihm noch einmal zu erklären, dass er wegen einer gerade erst geschlossenen Bekanntschaft, so romantisch sie auch gewesen sei, doch nicht seine ganze Zukunft aufs Spiel setzen könne. Außerdem wollte ich ihm sagen, er habe mich schließlich von Anfang an angelogen, aber er ließ mich nicht zu Wort kommen.
    »Du musstest dich unbedingt rächen, ja?«
    Jetzt verstand ich gar nichts mehr.
    »Nur weil ich mit Madhuri geschwindelt habe? Meine Güte, ich wollte dich halt kennenlernen, das ist doch kein Verbrechen. Ich hätte dir schon noch gesagt, dass ich sie nicht kenne. Aber du«, er zeigte mit dem ausgestreckten Finger so anklagend auf mich, dass sich einige Reisende
umdrehten und mich anstarrten, »du musstest ja unbedingt mein Leben zerstören.«
    Ich stand fassungslos da und ließ seinen Wortschwall über mich ergehen wie eine plötzlich kalt gewordene Dusche.
    »Wieso hast du der Familie meiner Braut erzählt, dass wir etwas miteinander haben, wenn es für dich eh nur ein Spaß war? Was soll das? Alles war vorbereitet, ich hatte mich damit abgefunden. Und jetzt ist die ganze Sache geplatzt.«
    Ich rief ihm zu, ich hätte nichts getan, ich würde diese Familie doch gar nicht kennen. Ich wollte noch sagen, dass uns in dem Club vielleicht jemand gesehen habe, der ihn kannte, aber er brüllte: »Was hast du denen erzählt? Das wirst du mir büßen, büßen wirst du mir das, du wirst schon sehen.« Er brüllte immer weiter und ließ mich nicht zu Wort kommen, bis zwei übel gelaunte Sicherheitsbeamte ihn in die Mitte nahmen und wegzogen. Ich stand noch eine Weile wie angewurzelt da und schlich dann wie ein geprügelter Hund zu meinem Gate.

    Suchst du einen Aschenbecher, Samir? Du bist doch sonst nicht so rücksichtsvoll und aschst einfach da hin, wo du gerade stehst. Aber bei meiner Dinnerparty wird nicht geraucht, tut mir leid. Also, lehn dich zurück und trink noch einen Schluck. Brennen die Chilis in deiner Speiseröhre? Agni, der indische Gott des Feuers, findet sich ja auch als Verdauungsfeuer im Körper wieder. Jataragni heißt er dann; ich habe extra noch einmal in einem
Lexikon nachgeschlagen, bevor der Caterer kam. Agni bringt als Opferbote alles Geopferte zu den Göttern. Und sieh mal hinter dich, auf der Kommode, da habe ich extra ein Bild aus einem indischen Geschäft aufgestellt: Agni, zwei Gesichter, drei Beine, sieben Arme. Die strahlenförmigen Zungen, die Axt, das Brennholz und der Widder als Reittier, alles da. Ich habe leider nicht herausgefunden, was passiert, wenn man das Tabu bricht und mit den Füßen in die Nähe des Feuers kommt. Zum Beispiel, wenn man eine Zigarette austritt. Das müsstest du mir doch sagen können, Samir. Droht einem dann das Höllenfeuer?

5
    GEMMA
    FLEISCHGERICHT:
     
    Chateaubriand saignant
mit frisch gebackenem Brot
     
     
    »Woher kennt ihr euch eigentlich?«, fragt Hilde und zeigt zwischen Gemma und mir hin und her. Ich weiß genau, dass die Frage in Wirklichkeit lautet: »Woher kenne ich sie?« Das ganze Essen über konnte ich sehen, wie es in Hilde arbeitete, aber sie kam nicht drauf. Und auch jetzt, während Gemma ihr Fleisch in das heiße Blut auf dem Teller tunkt, kaut und schluckt und die Reste mit dem Brot aufwischt, fällt es ihr nicht ein. Dabei hat sie schon einmal gesehen, wie Gemma das Blut vom Kinn tropfte. Und sie fand es genauso abstoßend wie heute.

    Es war nach Hildes Sexualaufstellungskurs. Sie kümmerte sich noch um ihre Teilnehmer, ich wollte draußen auf sie warten. Ich stand vor einer dieser typischen Eckkneipen, bei denen man sich immer fragt, wer freiwillig seine kostbare Freizeit zwischen verwesenden Soleiern, Erdnüssen aus dem Führerbunker, einer kaputten
Dartscheibe und kastratisch jodelnden Daddelautomaten verbringt. Zwei oder drei Mal war ich in solchen Etablissements gewesen, Zum Anker , Zur gemütlichen Wirtin , Zum lachenden Horst , oder wie auch immer die hießen, nur weil

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