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Vögelfrei

Titel: Vögelfrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Andresky
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pathetisch klingt.
    Ich lehne mich zurück.
    Von meinem Chateaubriand habe ich nur die Kruste gegessen. Durch das viele Erzählen ist der Rest des Fleisches kalt, und kaltes Blut mag ich nicht essen. Ich lasse Jannik noch etwas Wein nachschenken und halte mich wie Gemma ans Brot. »Ich war eher auf der Flucht - vor Drama, Hysterie und Machismo«, sage ich und lehne mich in meinem Stuhl zurück.

    Samirs Auftritt am Flughafen hatte mir den Rest gegeben. Den ganzen Flug über zurück ins winterliche Deutschland saß ich wie paralysiert auf meinem Sitz und wagte kaum, mich zu bewegen. Ich hörte über Kopfhörer K.D. Lang, tauchte ganz ein in ihre weiche Stimme und wünschte mir, ich könnte genauso zwischen den Geschlechtern hin- und herswitchen wie sie auf dem berühmten Foto, auf dem sie in Männerkleidung und mit eingeschäumtem Gesicht auf einem Sessel sitzt und sich von Cindy Crawford rasieren lässt. Ich war den weiblichen Part der ganzen Geschichte einfach leid. Das Ertragen und Dulden, sich Fügen und Warten. Von wegen Romantikerin. Eine nett gemeinte Umschreibung für Idiotin. »Ich bin so dämlich«, dachte ich, »demnächst benennen sie auf MTV eine Sitcom nach mir. Marei - No brain, but pain. « Der arme Mann neben mir musste
meine schlechte Laune ausbaden. Er hatte so tiefe Aknenarben, als hätte jemand sein Gesicht mit einer Nagelfeile bearbeitet. Er sah, dass ich nichts von den Nahrungsmittelimitaten auf meinem Tablett angerührt hatte, und bot mir lächelnd einen eingeschweißten Muffin an, aber ich grunzte nur abweisend und zog mir meine Schlafmaske übers Gesicht.
    Es waren weniger Samirs Drohungen gewesen, eher der Hass in seiner Stimme, der mich fertigmachte. Mir wurde einfach alles zu viel: der Verrat meines Mannes, Hildes Flirt mit dem Selbstmord, Madhuris Gesicht, die grenzenlose Leidenschaft, die Samir mir versprochen hatte, und dann sein Zorn, der über mich gekommen war wie der berühmte New Yorker Platzregen, der in Minuten ganze Straßenzüge überschwemmen kann. Ich hatte das Gefühl, dass mir alles entglitt. Ich sehnte mich nach jemandem, der die Fäden in der Hand hielt, der wusste, wie diese irren Dinge zwischen zwei Menschen funktionieren, und auch, wie man sie beherrschen kann. Und so landete ich wieder bei Gemma. Sie hatte mir in der Nacht, als ich mich bei ihr vor Hilde versteckt hatte, ihre Karte mit der Adresse gegeben, und da ich Hilde nicht begegnen wollte, versuchte ich es zuerst da.
     
    Es schneite in dicken Flocken; ein Taxi fuhr vorbei, aus dem Fetzen von »Jingle Bells« wehten. Das Klingelschild war mit Pulverschnee überzuckert, und ich stellte mir vor, dass ich mich, falls sie nicht zu Hause sein sollte, einfach auf die Stufen setzen und friedlich erfrieren wollte. Gemma öffnete. Ihr Gesicht war ungeschminkt. Die Piercings in Lippe, Nasenflügel und Augenbraue glänzten.
Über ihren kahl rasierten Kopf hatte sie eine Wollmütze gezogen. Auch ihre Arme steckten in dicken Wollstulpen, und darüber hing, schlaff wie ein dicker Schal, eine Ragdoll-Katze mit hellem Fell und schwarzem Clownsgesicht. Sie führte mich wortlos durch ihr Studio, das eine ganze Etage einnahm, über eine Stiege hinauf in eine kleine Mansardenwohnung. Dort sah sie mich lange an. »So schlimm?«, fragte sie mich. Ich nickte und begann augenblicklich zu schluchzen.
    Sie wickelte mich auf dem Bett, das fast den ganzen Raum einnahm, in einen dicken Quilt aus lauter gestrickten Flicken und schob mir eine Wärmflasche unter die Füße. Dann setzte sie sich neben mich, legte mir eine Hand auf den Bauch und schaute mich nur an, bis ich mich wieder beruhigt hatte. Die Katze sprang zwischen uns, drehte sich auf den Rücken, vollführte sämtliche Babyposen und sah so lange niedlich aus, bis Gemma endlich anfing, ihre Ohren zu kraulen.
    »Ich hab die Männer so satt«, jammerte ich, »ich hab das Leiden satt und das Warten, die ganze Hoffnung und alles, was man ständig investieren muss. Ich kann das nicht mehr. Und ich will es auch nicht mehr. Ich fühl mich völlig auf links gekrempelt. Die Ansprüche, die Erwartungen und Enttäuschungen, der ganze Stress. Ich bin es leid, die Liebe und den ganzen Scheiß.«
    Ich erzählte ihr von Samir und Madhuri, von meinem Mann und dem Pakt und wieder von Samir. Gemmas Mikrowelle piepte. Sie stand auf und holte einen glänzenden Käsekuchen heraus, den sie mir mit einer Geste präsentierte, als wären wir in einem Märchenmusical.

    »Die Lösung vieler Probleme«, sagte

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