Vögelfrei
mich auf die Kante und wartete Gemmas Instruktionen ab.
Schlagartig wurde es still im Raum.
»Dies ist, wie ich Ihnen schon angekündigt habe, eine besondere Versteigerung«, begann sie, »um Punkt zwölf erfolgt der Zuschlag. Der Meistbietende erhält diese entzückende Sklavia zur freien Verwendung. Es gibt keine Limits und keine Regeln. Das Anfangsgebot liegt bei zehntausend.«
Noch neun Minuten bis zum Zuschlag. Ich erlebte alles wie in Zeitlupe. Mir war kalt, aber ich zitterte nicht.
Ich fühlte mich wie ein Stück Wachs. Das erste Gebot kam. Dann noch eins. Es war klar, dass Helsing am Anfang nicht mitbieten würde, er würde sich erst durch das Verlangen der anderen anheizen lassen. Dann ging alles sehr schnell. Die Gebote schossen in schwindelerregende Höhen. Gemmas Stimme, die die Summen wiederholte, und das Geraune im Club vermischten sich in meinem Kopf zu einem Brummen wie in einem Bienenkorb. Fünf Minuten vor zwölf. Vier. Drei.
Ich suchte mit den Augen wieder die Reihen ab, und plötzlich war mir alles egal. Wenn es heute Nacht passieren sollte, wenn das hier das Letzte war, was ich tat, bitte. Ich klinkte mich aus und wurde sogar ein bisschen schläfrig. Noch dreißig Sekunden. Gemmas Stimme wurde höher, immer wieder kamen Gebote. Noch zehn Sekunden. Noch zwei, dann die letzte. Und mit ihr zusammen das letzte Gebot.
Ein Mann drängte sich vor zum Tresen, packte mich und zerrte mich aus dem Club. Hinter mir hörte ich Gemmas spitzen Schrei.
Ich fand mich auf der Rückbank einer Limousine wieder. Dicke Felldecken wurden bis zum Hals über mich gebreitet. Ich versuchte, gegen die Müdigkeit anzukämpfen und das stakkatoartige Hämmern, das Rauschen und Blubbern in meinen Ohren zu beruhigen. Langsam bekam ich wieder Luft.
Ich hielt die Augen geschlossen und sagte leise: »Ich möchte, dass wir anhalten.« Der Wagen hielt. »Steig bitte aus.« Meine Stimme klang ganz ruhig, aber sehr erschöpft, wie nach einer Krankheit. Er zögerte, aber dann öffnete sich die Tür. Kalte Luft, Feuerwerkslärm und
Glockengeläut drangen ins Auto. Ich atmete tief durch, nahm das Handy, das auf der Rückbank lag, und rief Gemma an.
Sie weinte. Zwischendurch lachte sie. »Ich dachte einen Moment, es wäre schiefgegangen«, japste sie. Ich schüttelte den Kopf, obwohl sie mich ja nicht sehen konnte.
»Auf meinen Mann kann man sich verlassen. Ich wusste, dass er das letzte Gebot abgeben würde. Auch wenn es knapp war. Da gab es einige, die nicht von uns waren, oder?«
Sophias Männer hatten mitgeboten. Aber dann wurde alles unübersichtlich.
Ich kuschelte mich tiefer in die Felldecken, froh, dass ich bei dem Chaos, das Gemma jetzt auszuhalten hatte, nicht dabei war, und ließ mich zu Sophias Stadtvilla fahren.
Am nächsten Morgen erzählte sie mir alles. Helsing war festgenommen worden aufgrund der Beweise, die Gemma und ihre Freundinnen in den letzten Tagen zusammengetragen hatten. Man hatte wohl wirklich einen Bezug herstellen können zwischen ihm und den getöteten Gothic-Mädchen in Amsterdam. Dort nannten ihn die Zeitungen den »Pfähler«. Vor Erschöpfung schlief ich fast zwei Tage durch.
Vom Möbelrücken und Packen im Harem bekam ich nicht viel mit. Manchmal wachte ich auf und hörte, wie große Kisten hin- und hergeschoben wurden, oder es klingelte ein Telefon. Der Harem plante eine Reise, wollte bald die Stadt verlassen und gab deshalb die Villa auf,
die jetzt, Zimmer für Zimmer, verpackt und eingelagert wurde. Mit schmerzenden Knochen stieg ich schließlich in die luxuriöse Badewanne und kehrte zu den Lebenden zurück.
Gemmas Welt, die Abgründe, mit denen sie sich beschäftigte, das Bizarre und Exotische waren nichts für mich, das wusste ich jetzt. Aber ihre Freigeistigkeit und die unendlichen Möglichkeiten ihrer Welt zogen mich an. Und langsam formte sich in mir eine Idee.
Es musste auch anders gehen. Lust, Spaß, Ekstase, eine spiegelbildliche Alternative zu Gemmas Alptrauminszenierungen. Stück für Stück nahm meine Idee immer mehr Gestalt an, mein Projekt für das neue, gerade wenige Tage alte Jahr: ein Club.
Eine Mischung aus Swingerclub und Frauenbordell, in dem diese sicher und unkompliziert ihre Fantasien und Triebe ausleben konnten, ohne befürchten zu müssen, Spinnern und Perversen zu begegnen. Etwas für erst keimende und bereits wild wuchernde Erotik, wo man seinen Trieben nachgehen und treiben konnte, was man wollte: das Treibhaus. Discothek und Darkroom in einem; kuschlig,
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