Vögelfrei
was er glaubte, dafür zu bekommen, unbezahlbar. Ich fragte mich, ob diese Situation eine Premiere für ihn war, weil er mir nervös vorkam. Er atmete manchmal ruckartig ein, als bliebe ihm die Luft weg, dann wieder musste er sich räuspern. Oder er saugte so gierig an seiner Zigarette, dass ich sie knistern
hörte. Ich wollte mich aber nicht von seiner Unsicherheit einlullen lassen; ich wollte nicht unvorsichtig werden. Ich würde Gemma, Sophia und die beiden Freundinnen, die die Verhandlungen über einen Monitor verfolgten, später danach fragen.
Stühle wurden zurückgeschoben, Hände geschüttelt und eine Tür geöffnet. Man war sich handelseinig. Und die Silvesternacht schien allen der geeignete Termin zu sein.
Als ich die Tür zum Club öffnete, war das schnaufende Wimmern eines Akkordeons das Erste, was ich hörte. Erst dann kamen die Stimmen, das Gläserklirren und Lachen dazu. Eine Gitarre und eine Violine setzten ein, und die leicht schräge, melancholische Musik wurde lauter. »Malena«, argentinischer Tango. Das war Gemmas Geschenk für mich, denn ich liebe Tango. Es ist der ausdrucksstärkste Tanz, den ich kenne, ein Bordelltanz. Mit seiner Mischung aus Unterwerfung und Beherrschung passte er zum Anlass.
Der Sklave kam auf mich zu, wie immer komplett in seinem Lackoutfit verborgen. Einen Moment lang dachte ich, dass auch er Helsing sein könnte, dass er seit Wochen neben uns leben könnte, ohne dass wir es wüssten. Aber als er mir formvollendet die Hand reichte, schob ich den Gedanken beiseite.
Alle Männer in dem Raum waren in Frack oder Smoking gekleidet; die wenigen Frauen trugen Abendkleider. Nur das Personal steckte in Leder- oder Lackkostümen, und nur ich war nackt bis auf die hochhackigen Stiefel. Wir alle trugen Masken, die fast das ganze Gesicht bedeckten.
Die Musik wechselte zu »Mi Buenos Aires Querido«; ich summte leise mit. Der Sklave blieb an einer Stelle mitten im Raum stehen, wo wir ein bisschen Platz hatten, umfasste meinen Oberkörper, zog mich an sich und begann mit einer Sacada, einem leichten Druck auf meinen Oberschenkel. Mein Bein glitt wie von selbst zurück in den ersten langen Caminarschritt. Ich schloss die Augen und genoss seine Führung, ohne mich darüber zu wundern, dass ausgerechnet ein Sklave so dominant tanzte, denn beim Tango ist alles möglich. Als mehrere Paare dazukamen, hielt mich der Sklave noch enger. Er tanzte elegant und unaufdringlich. Fast hätte ich einen Moment vergessen, warum ich hier war.
Ich bewunderte zwei Frauen neben uns, die immer wieder in eine extreme Schräge tanzten und sich erst in letzter Minute mit Drehungen abfingen.
Der Sklave brachte mich zur Bar, wo Gemma mich küsste und mir ein Wodkaglas hinstellte, natürlich aus meiner speziellen Flasche, in der nur Wasser war - schließlich brauchte ich einen klaren Kopf.
Die Gäste feierten gut gelaunt. Ich erkannte den japanischen Freund von Sophia an seiner Frisur und auch Gemmas Freundinnen, die beim Kellnern aushalfen. Hinter Gemmas Bar stapelten sich die Champagner- und Wodkaflaschen. Luftschlangen und Glitzerkonfetti flogen durch den Raum. Mir war, als sei ich auf der falschen Veranstaltung, denn niemand verhielt sich so, als würde es bald eine Versteigerung geben.
Immer wieder forderte mich jemand zum Tanzen auf, und da ich nicht ablehnen durfte, fügte ich mich. Die meisten nutzten die enge Tanzhaltung, um mit ihrer
Hand auf meinem Rücken tiefer zu rutschen, bis sie einen Finger zwischen meine Pobacken schieben konnten. Ein kleiner, kahlköpfiger Mann saugte, während wir tanzten, an meiner Brust. Eine Frau rieb sich während eines Boléro an meinem Knie, sodass ich fühlen konnte, dass sie unter ihrem Kleid nackt und sehr feucht war. Zum Abschluss eines Lieds küssten mich die meisten auf den Mund, und wenn ich zu meinem Platz an der Bar zurückging, wurde ich befingert und gekniffen.
Ein Mann wollte unbedingt einen Vergleich zwischen der Möse seiner Frau und der meinen anstellen und steckte ihr seinen linken und mir seinen rechten Zeigefinger hinein. Was ihn offenbar erregte, denn er lief knallrot an und dicke Schweißperlen traten auf seine Stirn.
Dann läutete Gemma eine große Glocke. Es war Viertel vor zwölf, noch eine Viertelstunde bis Mitternacht.
Ich sah mich immer wieder um, ob ich jemanden erkannte, aber das Gewimmel der Menschen war so dicht, und die Masken verbargen die Gesichter. Ich stieg auf den Tresen und ging einige Male hin und her. Dann setzte ich
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