Voellig durchgeknallt
gesunden Faust). Das bekommt ihm gar nicht gut. Erst kriegt er Nasenbluten, dann kippt er um.
Schlägt er mich jetzt tot? Eigentlich rechne ich damit, dass er sich wieder aufrappelt, und stelle mich schon mal breitbeinig hin. Alle treten zurück und warten. Aber Simon fällt nicht über mich her. Er hustet bloß, steht auf und funkelt mich böse an.
»Mach schon mal dein Testament!«, sagt er.
Dann ist er weg.
Stille.
»Respekt.« Der breitschultrige Typ vor mir haut mir anerkennend auf die Schulter. »Das wurde aber auch mal |93| Zeit.« Dann sieht er mir ins Gesicht. »Trotzdem möchte ich jetzt nicht in deiner Haut stecken.«
Erst fühle ich mich super. Ich hab mich gut gehalten und die anderen werden es sich jetzt zweimal überlegen, bevor sie mich blöd anmachen. Aber ich komme gleich wieder auf den Boden. Die Rache lässt bestimmt nicht lange auf sich warten. Unser Wärter Ronald schlendert vorbei und mustert uns prüfend, und wir stehen lieb und brav in der Schlange wie Pfadfinderinnen beim Kirchenbasar.
Ich telefoniere.
Hallo Oma, ich bin’s.
Wer ist »ich«?
Chas.
SCHWEIGEN.
Bist du’s, Chas?
Ja, Oma.
Wo steckst du?
Im Knast, Oma.
SCHWEIGEN.
Ich bin schwer enttäuscht von dir, Chas.
Weiß ich, Oma. Wie geht’s Mum?
Sie hat mit dem Gärtner Schluss gemacht, weil ihr das mit dir so peinlich war. Ich trau mich gar nicht mehr in den Seniorenclub. Du solltest mal hören, wie sich Dolores das Maul zerreißt. Das muss ich mir jetzt bis an mein Lebensende anhören. Ich hab dich nicht großgezogen, damit du dich so aufführst.
|94|
Stimmt, Oma.
Du brauchst gar nicht mehr heimzukommen, Chas. Meine Enkelsöhne landen nicht im Knast.
Ist gut, Oma.
Dolores hat gesagt, du hast einen Lastwagen geklaut.
Aber die Kekse hast du trotzdem gegessen.
Wie bitte?
Die Kekse … Ach, ist ja schnurz.
Gar nichts ist schnurz.
Weißt du, was mit Devil ist?
Heißt wie der Teufel, führt sich auf wie der Teufel. Der hat dich dazu angestiftet. Ich mein’s ernst, Chas. Ich will dich unter meinem Dach nie mehr sehen.
Alles klar, Oma, dann komm ich halt nicht mehr heim. Tschüss.
Chas?
Ich lege auf und gehe wieder in meine Zelle.
Hätte ich doch bloß nicht angerufen.
|95| Sieben
Wir haben Freizeit, aber ich bin nach dem Abendessen gleich wieder in meine Zelle. Ich hab keine Lust, mit den anderen im Aufenthaltsraum rumzuhängen. Da gibt’s einen Fernseher, eine Tischtennisplatte und einen Kicker, aber es ist immer knallevoll, und alle brüllen dermaßen, dass man die Glotze sowieso nicht versteht. Außerdem habe ich mich noch mit keinem angefreundet, alle schneiden mich, und ich will nicht unbedingt einem gewissen Doppelpack übern Weg laufen. Allmählich gewöhne ich mich an das Leben hier. Nach dem Frühstück in der Kantine dürfen wir zwanzig Minuten Fußball spielen, dann werden wir ein paar Stunden eingeschlossen, dann gibt’s eine Stunde Sport oder Unterricht, danach Mittagessen. Danach ist den ganzen Nachmittag Einschluss, das ist voll kacke. Um 17 Uhr gibt’s Abendbrot, danach anderthalb Stunden Freizeit und um 19.30 Uhr werden wir wieder weggesperrt. Weil ich neu bin, darf ich manchmal zwischendurch raus, weil man als Neuling lauter Untersuchungen absolvieren muss. Die Bildungsprüfung war echt ein Witz. Die Fragen waren so einfach, dass ich sie am liebsten gar nicht beantwortet hätte. Ansonsten schlafe ich die meiste Zeit. Wenn ich die Augen aufmache, weiß ich nicht, ob drei Stunden |96| oder zwei Minuten rum sind, bis ich mich umdrehe und auf die Uhr schaue. Meistens ist es mir auch egal. Ich mache die Augen einfach wieder zu und penne weiter.
Aber heute bin ich wacher als sonst. Irgendwas liegt in der Luft, und zwar nichts Gutes. Aus dem Aufenthaltsraum hört man laute Rufe. Wahrscheinlich hat jemand die Tischtennisbälle geklaut. Eins habe ich schnell gelernt: dass die Wärter hier längst nicht so umgänglich sind wie die Bullen bei uns zu Hause. Man muss sie mit Sir oder Ma’am anreden und sie machen ein Riesentheater darum, dass man seine Zelle aufräumt und seine Schuhe putzt. Wie beim Militär, bloß dass man sonst keinen Spaß hat.
Ich hab Durst. Ich rapple mich eben hoch und will mir was zu trinken holen, da stößt jemand meine Tür auf.
Darauf warte ich schon seit vorgestern.
Kieran und Simon kommen reinspaziert. Es ist so weit.
Ich schaue von meiner Zeitschrift auf und mache einen auf cool.
»Tag die Herren«, sage ich. »Soll ich Tee und Gebäck kommen lassen?«
»Haste ’ne
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