Voellig durchgeknallt
Insassen sind rechtlos. Hier gelten andere Gesetze.
Das war der Laster nicht wert.
Ronnie steht in seinem gebügelten weißen Hemd und der schwarzen Hose da. Er trägt Schuhe mit Stahlkappen. Alle Jungs hier drin können ein Lied von diesen Schutzkappen singen. Sie schützen die Zehen der Wärter, wenn sie uns mit einem Tritt die Treppe runterbefördern.
»Kannst du lesen, Parsons?«, fragt Ronnie in sarkastischem Ton.
»Ja.«
»Ja?«
»Ja, Sir.« Es geht mir gegen den Strich, irgendwen mit »Sir« anzureden, aber meine Zähne sind mir lieb und teuer. Du glaubst, ich übertreibe? Tja, dann klau doch selber einen Supermarktlaster, dann siehst du, wie es hier zugeht. Ich hindere dich nicht daran.
»Schön, dann hab ich was zu lesen für dich.« Er lässt etwas auf den Boden fallen.
Es ist ein Brief. Hey! Jemand hat an mich gedacht! Ich bin ganz aus dem Häuschen.
Auf dem Brief klebt eine englische Marke und die Handschrift kommt mir bekannt vor. Ich mag mich nicht bücken und den Brief aufheben, weil ich Schiss habe, dass mir Ronnie den Schädel eintritt.
»Mach schon, Parsons«, sagt Ronnie. »Heb den Brief auf. Sonst sieht deine Zelle unordentlich aus.«
»Ich mach’s nachher, Sir«, sage ich.
|104| Todesmut funktioniert hier drin vielleicht bei meinesgleichen, aber nicht bei diesen Typen. Die sind wie Oma, die lassen nicht mit sich reden.
»Von wegen«, sagt Ronnie. »Du hebst den Brief sofort auf.«
Ich schwinge mich aus dem Bett. Alles außer der Reihe gilt hier drin als verdächtig. So gut wie niemand kriegt Briefe. Am besten hebe ich den Brief so schnell auf, dass Ronnie überrumpelt ist und ich um einen Tritt an den Kopf herumkomme.
Ich hebe den Brief auf. Der Tritt bleibt aus. Das Papier ist ein bisschen feucht, als wäre es schon durch x Hände gewandert.
»Mach ihn auf«, kommandiert Ronnie. »Ich muss nachsehen, ob Drogen drin sind.«
Ich reiße den Umschlag auf.
»Schüttel die Blätter aus.«
Ich erkenne die Handschrift sofort wieder. Mir entfährt ein unterdrückter Aufschrei und Ronnie zieht die Augenbrauen hoch. Woher weiß er, dass ich im Bau sitze? Da stimmt doch was ganz gewaltig nicht! Er hält mich doch für meine Mum. Aber der Brief ist angekommen.
Der Brief ist von Lenny Darling.
Von dem Mörder Lenny Darling, der eigentlich in Amerika in der Todeszelle sitzt.
Aber auf dem Absender steht etwas anderes. Da steht
Bexton.
Lenny Darling ist in der Stadt.
|105| Acht
Marsh View Hotel Bexton
Guten Tag, Chas!
Hoffentlich sind Sie nicht zu überrascht, ausgerechnet von mir zu hören. Aber es gibt tolle Neuigkeiten! Bin selbst noch ganz durcheinander. Dienstag, den 26. April, hat man mich mit sofortiger Wirkung auf freien Fuß gesetzt. Irgendjemand hatte nämlich die Befunde der Obduktion noch einmal überprüft und dabei kam heraus, dass der ertrunkene Junge einen Herzfehler hatte, worauf die Anklage gegen mich überraschend zusammengebrochen ist. Chaotische Zustände herrschen in der amerikanischen Justiz, muss ich schon sagen, denn abgesehen davon tauchten weitere Zeugen auf und einer der früheren wurde für fragwürdig befunden. Hinsichtlich dieser neuen Beweislage, die schon die ganze Zeit verhindert hatte, dass mein Urteil vollstreckt wurde, kam es zu einem Freispruch. Großartig, nicht wahr? Es ist schwer zu begreifen, aber ich bin aufgrund einer juristischen Formsache wieder ein freier Mensch. Frei und unbescholten. Und darum
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ist es jetzt an der Zeit, die Karten auf den Tisch zu legen. Natürlich habe ich mich nicht von Dir an der Nase herumführen lassen! Doch ich habe das Spielchen erst mal mitgemacht. Es war kein Kunststück herauszufinden, dass Du keine Frau Ende dreißig bist. Nein, mein Lieber, da musst Du Dir schon mehr Mühe geben. Ich habe schon nach Deinem ersten Brief vermutet, dass Du noch minderjährig bist. »Chas« für Caroline – sehr witzig. Haha! Hatte ich einen Freund so nötig, dass ich über den Betrug hinweggesehen habe? Als zum Tode Verurteilter kann man es sich jedenfalls nicht leisten, allzu wählerisch zu sein. Beklagenswert, aber wahr. Kurz und gut, ich bin hergekommen, weil ich Dich persönlich kennenlernen wollte. Es hat sich jedoch überraschend ergeben, dass ich Deine Mutter getroffen habe, die richtige Caroline Parsons, und sie hat mir erzählt, was Dir zugestoßen ist. Ich wüsste übrigens gern, ob Deine Mutter tatsächlich ungebunden ist. Nichts für ungut, aber kannst Du mich da aufklären? Es geht Dir momentan bestimmt
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