Vogel-Scheuche
nachzuem p finden. Sie wußte, daß ihre Halbseele am Werk war – früher hatte sie sich nie etwas aus Gefühlen gemacht.
Das aber erwies sich für Phelra eines Tages als Problem, als nämlich ein Mann namens Snide vorbeikam. Er beobachtete sie dabei, wie sie gerade ihrem Lieblingskatzalog Anweisungen erteilte, und machte abfä l lige Bemerkungen über die Katze. »Glaubst du etwa wirklich, daß diese mottenzerfressene Pelzkugel sich an deine Anleitungen erinnern wird?« fragte er höhnisch. »Dann mußt du mindestens genauso blöd sein wie der.«
Das Bild zeigte zwar Snide, die Stimme jedoch stammte von Grundy Golem, der den Dialog bestritt. Das spielte keine Rolle, weil Grundy eine natürliche Begabung für Beschimpfungen und Beleidigungen hatte.
Nun war Phelra zwar niemand, der grundlos einzuschnappen pflegte, doch irgend etwas an der Haltung dieses Mannes ärgerte sie. Zum einen täuschte er sich, was die Katze anging, die nämlich tatsächlich Anwe i sungen genau ausführen konnte.
»Ach, geh doch einen heben!« versetzte sie, was einer Beschimpfung so nahe kam, wie ein nettes Mädchen es sich überhaupt leisten konnte. Doch dann hätte sie sich am liebsten auf die Zunge gebissen, als ihr plötzlich wieder einfiel, welche Wirkung das Flußwasser auf Leute hatte, die daran nicht gewöhnt waren. Das allerletzte, was sie sich jetzt wünsc h te, wäre, daß Snide allzu freundlich würde.
Also zog sie sich wieder in ihren Pilz zurück und schloß die Tür hinter sich. Das Haus war natürlich etwas breiig, aber mehr konnte sie sich nicht leisten. Sie fürchtete, daß Snide hinter ihr herkommen könnte, und daß der Brei ihn vielleicht nur noch geneigter machen würde zu tun, was sie nicht wollte.
Sie spähte aus dem Fenster, wo sich ihre Furcht bestätigte. Snide war tatsächlich dabei zu trinken. Es würde nur noch einen Augenblick da u ern, dann würde er nicht nur ätzend, sondern auch noch zudringlich werden. Sie mußte unbedingt fort!
Vielleicht sollte sie ihren Freund Alias suchen, der könnte ihr bestimmt helfen. Alias’ Talent bestand darin, dafür Sorge zu tragen, daß alle um ihn herum auf den falschen Namen antworteten. Bei einer Mensche n menge konnte das ein derartiges Durcheinander auslösen, daß man schließlich eine Namensliste anfertigen mußte, um alles wieder ins Lot zu bringen. In einer solchen Menge würde Snide sie niemals wiederfinden!
Aber Alias war heute irgendwo anders, und außerdem gab es keine Menge hier, die ihr dabei hätte helfen können, alles zu verwirren. Wie wäre es dann mit ihrem Freund Tom, der eine kleine Wolke herbeiza u bern und von dieser jedes Werkzeug und jede Waffe pflücken konnte, die er brauchte? Natürlich mußte er das Werkzeug erst wieder zurück auf die Wolke legen, bevor er sich das nächste besorgte, trotzdem war es ein ziemlich starkes Talent. Wenn er jetzt hier wäre, könnte er ein Schwert hervorholen und Snide sagen, er solle sich lieber in einen Sumpf verdr ü cken.
Aber Tom war nun einmal auch nicht hier. Keiner ihrer Freunde war im Augenblick greifbar. Also blieb ihr nur die Flucht – in der Hoffnung, daß Snide die Verfolgung bald aufgeben würde. Sie würde ihr Talent nutzen, ein Tier zu zitieren, das sie schnell davontragen konnte. Welches Tier wäre wohl das beste?
Nun kam Snide bereits auf das Haus zu, und er sah wirklich furchtbar aufdringlich aus. Sobald er sich ihr näherte, würde er sie mit seinen Hä n den überall begrabschen. Sie mußte sofort das Tier rufen.
Vielleicht eine Gebirgsziege, denn diese könnte sie schnell ins nächste Gebirge bringen, wo sie sich bei Bedarf hinter den Felsen verstecken konnte.
Oder eine Rockschlange, unter deren Rock sie dann kriechen könnte, bewacht von den giftigen Fängen des Tieres, an die sich Snide bestimmt nicht heranwagen würde.
Ja, das war es! Sie sperrte den Mund auf und aktivierte ihr Talent. »Rohk-…«
Da krachte Snide auch schon durch ihre Hauswand. »Krachen« war e i gentlich nicht der richtige Ausdruck, es war mehr ein feuchtes Quie t schen, als er ein Loch in den Schwamm riß. Das Ganze geschah so plöt z lich, daß sie das Wort nicht mehr zu Ende sprechen konnte. Auße r dem grabschte Snide bereits nach ihr und roch dabei auch furchtbar aufdringlich.
Wahrscheinlich war jetzt die Zeit gekommen, ordentlich zu kreischen.
Doch ihr Talent war nun einmal wachgerufen, und es orientierte sich nach dem nächstbesten Tier jener Art, die sie benannt hatte. Unglückl i cherweise hatte
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