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Vogelfrei

Titel: Vogelfrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julianne Lee
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Blicke und ihm lief ein Schauer über den Rücken. Einen langen Moment sahen sie sich tief in die Augen, dann blinzelte sie und lächelte; und damit war der Zauber gebrochen Dylan zog sich das Plaid wieder über die Schulter und schob es durch seinen Gürtel.
    »Seonag wird sie Euch heute Abend zurückbringen.«
    »Wie kann sie denn meine Hemden von denen Eures Vaters unterscheiden?«
    Caitrionagh lachte. »Eure sind die, die nicht wie die Segel eines Schifies aussehen.«
    Dylan grinste und blickte ihr nach, bis sie außer Sicht war.
    Plötzlich erklang Sinanns Stimme neben ihm. »Ein hübsches Ding in der Tat, aber sie ist nicht für dich bestimmt.«
    »Du schon wieder!« Dylan fuhr herum und stellte fest, dass auch die F ee Caitrionagh hinterherschaute.
    Sinann grinste. »Ich kann dir deine Gedanken vom Gesicht ablesen, mein Freund. Du hast eine zu lebhafte Fantasie Zeit dass dir jemand beibringt, mit dem Kopf zu denken und nicht mit dem Unterleib.«
    Dylan seufzte. »Was soll denn das schon wieder heißen?«
    »Komm mit-" Sie winkte ihm zu, doch Dylan rührte sich nicht vom Fleck. Sinnan flatterte auf und schwirrte ärgerlieh um ihn herum. »Komm mit, habe ich gesagt. Wir müssen die Zeit nutzen, die uns noch bleibt.« Als er immer noch keine Anstalten machte, ihr zu folgen, sondern sie nur finster anstarrte, drohte sie: »Setz dich in Bewegung, Freundchen, oder ich hexe dir ein paar dicke Warzen an deine hübsche Nase!«
    Das wirkte. Dylan folgte ihr über die Zugbrücke in Richtung des Dorfes. »Wohin gehen wir denn?«
    »Zu einem geheimen Ort. Niemand kommt je dorthin. Die Menschen hier glauben, dass der Platz verwunschen ist.« Sie warf ihm einen listigen Blick zu. »Wir kleinen Leute halten uns oft dort auf, musst du wissen.«
    Er kicherte. »Das glaube ich dir unbesehen.«
    Für Dylans Verhältnisse mussten sie eine ziemlich lange Strecke zurücklegen. Seit er kurz nach seinem sechzehnten Lebensjahr den Führerschein gemacht hatte, war er nicht mehr viel zu Fuß gegangen. Am anderen Ende des Dorfes angelangt, verließ Sinann den breiten Weg und folgte dem Fluss bis zur Nordseite des Tals, dann schlug sie einen Bogen um den mit weißen Birken und mächtigen alten Eichen bewachsenen Hügel herum und führte Dylan schließlich einen von Bäumen und Büschen gesäumten schmalen Pass empor. Kiefern mit knorrigen Stämmen und weit ausladenden Ästen warfen ihre Schatten auf den über Felsgestein und unter bizarr geformten Wurzeln hinwegsprudelnden Fluss.
    Einige Baumstämme waren mit Schwämmchen überwuchert; große Kolonien riesiger brauner Pilze, die an tanzende Frauen mit schwingenden Röcken erinnerten, wuchsen zu ihren Füßen im Gras. Schilfrohr ragte aus dem Wasser und neigte sich mit der Strömung, sodass der Eindruck entstand, die ganze Uferregion sei von einem weichen Pelz bedeckt. Überall im Wald blühten gelbe Blumen, obwohl es schon spät im Herbst war. Dylan betrachtete sie erstaunt. Daheim in Tennessee standen die Blumen nur im Frühjahr und Frühsommer in voller Blüte, im Herbst dagegen sorgten die abgestorbenen Blätter der Bäume für eine herrliche Farbenpracht. Auch tiefer im Unterholz leuchteten kleine violette Blüten, die sich aber an den Rändern bereits braun verfärbten.
    Schließlich gelangten sie in ein kleines, schmales, von schroffen Granitfelsen eingeschlossenes Tal; dort stand inmitten einer grünen Wiese eine seltsame Ruine.
    Die steinernen, mit teils dunklem, teils smaragdgrün schimmerndem Moos bewachsenen Mauern schienen mit dem Boden zu verschmelzen wie eine vom Regen fast gänzlich weggespülte graugrüne Sandburg. Wind und Wetter hatten das wahrscheinlich viele hundert Jahre alte Gemäuer bis auf die Grundmauern zerfallen lassen. Dort, wo einst die Tür gewesen sein musste, gab es nur noch eine hohe, schmale Lücke in den Steinen. Sinann glitt hindurch und bedeutete Dylan, ihr zu folgen.
    »Wo sind wir? Und was ist das für eine Ruine?«
    »Es sind die Überreste eines broch, eines Rundturmes. Niemand weiß, wie alt er ist, selbst ich nicht. Aber wenn du fliegen könntest, so wie ich ... nun, schau einmal selbst.«
    Sie deutete auf seine Füße und erhob sich in die Luft. Dylan spürte, wie irgendetwas seine Knöchel packte und ihn hochhob. Er spreizte instinktiv nach Seemannsart die Beine, um das Gleichgewicht halten zu können, da er beinahe der Länge nach hingeschlagen wäre, und es gelang ihm, aufrecht, wenn auch leicht schwankend, stehen zu bleiben. Langsam wurde er

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