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Vogelstimmen - Bernemann, D: Vogelstimmen

Titel: Vogelstimmen - Bernemann, D: Vogelstimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Bernemann
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Schwüle. Ich konnte die Liebe schmecken, mit der sie dieses Essen zubereitet hatte, und auch die, mit der sie mir Getränke in den orangen Plastikbecher goss. Sprudel sprudelte und ich lachte. Ich war ein Kind.
    Dann nahm mich meine Mutter an der Hand und wir liefen zu einem Wald, es war ein dichter Wald, Mischwald, und der verschluckte uns. Und wir liefen, liefen, liefen und meine Mutter hatte so ein freies Gesicht an diesem Tag, so eine Unbeschwertheit im Wesen, dass ich einfach mitlachen musste. Sie hielt weiter meine Hand, ich spürte deutlich ihre ausgesendete Wärme. Dann setzten wir uns auf eine Bank, die war hölzern und von rustikaler Verarbeitung, und meine Mutter holte aus ihrer Handtasche eine kleine Plastikdose, aus der wir dann klein geschnittene Äpfel aßen. Sie hatte die Angewohnheit, Äpfel zu schälen und dann in mundgerechte Stücke zu portionieren. Mit fünf waren geschälte, klein geschnittene Äpfel die einzige Obstsorte, die ich aß. Die ganze Zeit über schwiegen wir und genossen die Ruhe in diesem Wald, um uns herum lediglich Ruhe, und ich genoss es, ein Kind zu sein, und sie genoss es, eine Mutter zu sein. Sie saß neben mir, ganz dicht, und ich fühlte mich so sicher. Als ich fünf war, war Sicherheit wahrscheinlich genau das, was ich brauchte, um nicht hilflos dem Wahnsinn ausgeliefert zu sein. Du spürst, wie deine Welt täglich wächst, mal schneller, mal bedächtiger, immer aber vorwärts. Und sensible Kinderhirne wie meins bedürfen zunächst mal des mütterlichen Schutzes, um nicht sofort in die Ecke des Nichtklarkommens gedrängt zu werden. Meine Mutter lächelte. Sie nahm meine kleine Hand und legte sie auf ihren Bauch. Diese Geste verstand ich nicht, aber sie fühlte sich gut an.
    Anderntags sah ich meine Mutter verstört auf dem Sofa sitzen. Steif und stumm. Die Verstörung äußerte sich in einem das absolute Nichts fixierenden Blick. Es war ein Nachmittag im August und die, die da saß, war eine andere Frau als die, mit der ich gestern noch im Wald gewesen war. Das Bild der regungslosen Mutter machte mir Angst. Auch auf Ansprache reagierte sie nicht und ebenso wenig auf meine vorsichtigen, zerbrechlichen Kinderschritte, die ich durchs Wohnzimmer lief. Saß nur da und starrte, geradeaus, tote Augen. Mich überkam ein absolut hilfloses Gefühl, eines, dem ich nicht gewachsen war als Kind von fünf Jahren. Das Gefühl, der Mutter nicht helfen zu können, nicht mal zu wissen, was los war. In meinem kindlichen Unmut wollte ich dann der Szene entfliehen, einfach durch eine Ortsveränderung, und so ging ich ins Bad, schloss mich ein. Das Bad war ein guter Ort für eventuelles Wiederfinden von verlorener Ruhe. Der Klodeckel war hochgeklappt, eine Sache auf die ich, wenn ich sie ab und an vergaß, von meiner Mutter immer angesprochen wurde. Ich wurde böse auf meine Mutter; sie, die gute, heilige Erwachsene, durfte natürlich ohne angemeckert zu werden den Klodeckel offen lassen. Neben der Toilette lag ein rotes Handtuch einfach so auf dem Fußboden. Ich wurde noch wütender, denn auch dies, das Liegenlassen von Wäschestücken, wurde bei mir schon öfter von meiner Mutter bemängelt. Als ich der Toilette näher kam, sah ich, wie darin etwas schwamm, was ich zunächst für irgendeine Mahlzeit oder seltsamen Stuhlgang hielt. Dann erkannte ich, dass es Blut war, da schwamm viel Blut und dunkelrot ronn es noch den Toilettenabfluss hinab. Ich starrte das Blut an. Es starrte, langsam Fäden ziehend, zurück. Dann bemerkte ich, dass das liegen gelassene rote Handtuch kein liegen gelassenes rotes, sondern ein achtlos weggeworfenes ursprünglich weißes, nunmehr aber blutgetränktes Handtuch war. Ich starrte weiter das Blut an, in der Wohnung war es still und auch in mir wurde es immer leiser. Das Blut roch komisch, nicht wie normales Blut. Ich fragte mich, was das zu bedeuten hatte, war mir aber sicher, dass das Blut aus meiner Mutter gekommen war. Ich fühlte emotionale Muttermilch. Das war das seltsame Gefühl einer noch seltsameren Verbundenheit. Dann drückte ich auf die Spülung, und im Anschluss daran hörte ich meine Mutter erst leise wimmern und dann laut weinen. Das Weinen durchbrach meine Sensibilitätsgrenzen. Ihr Schmerz wollte meiner werden, so klang das Weinen. Es waren laut geweinte Hilfeschreie, und ich war ein Kind, unfähig darauf eine Antwort zu haben. Das Schreien meiner Mutter traf mich wie Granatsplitter.
    Ich blieb einfach im Bad, solange sie weinte; einfach hier drin

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