Vogelwild
Morgenstern sich ein zweites Mal auf sein Fahrrad und
jagte zum Erdbeerfeld hinaus. Die Plantage war umzäunt, als Verkaufsraum diente
ein rundlicher und winziger Wohnwagen, der als Erdbeere dekoriert war: Er war
rot angestrichen und dann mit grün-gelben Punkten bemalt worden. Zu
Morgensterns großer Erleichterung musste er nicht selbst pflücken, sondern
konnte gleich an Ort und Stelle volle Körbchen erwerben. Mit der denkbar besten
Laune radelte er nach Hause, die Dessertüberraschung baumelte am Lenkrad. Eine
gute halbe Stunde hatte er für den Ausflug gebraucht, allmählich müssten wohl
auch die Kartoffeln fertig sein. Der Oberkommissar war sehr zufrieden mit
seinem Zeitplan: »À la minute«, wie man unter
französischen Gourmets zu sagen pflegte.
Doch
als er zu Hause die Treppe hochlief, stieg ihm ein ungewohnt unerfreulicher
Geruch in die Nase. Es roch nach Rauch, ähnlich einem ausgepinkelten
Lagerfeuer, wie Morgenstern schnuppernd feststellte. Hastig schloss er die Tür
auf. Aus der Küche kam ihm eine dicke Dampf-und Rauchwolke entgegen, aber
nicht nur das, die Schwaden hingen auch bereits im Esszimmer. Um überhaupt Luft
zu bekommen, riss Morgenstern das Küchenfenster auf, dann zog er den
Kartoffeltopf, dessen Boden bereits glühte, von der Herdplatte. Die wenige
Flüssigkeit war natürlich längst verdampft. Als er Wasser nachgoss, ertönte ein
wütendes Zischen. Immerhin: Die Kartoffeln schienen in Ordnung.
Nachdem er alle Fenster zum Durchzug geöffnet hatte,
begann er mit dem Tischdecken, und wenig später war der Ermittler auch wieder
voll im Zeitplan. Konzentriert schälte Morgenstern die Kartoffeln, goss Öl in
die große Bratpfanne und fischte die Steaks aus dem Waschbecken, um sie
anschließend mit Inbrunst zu brutzeln. Es war achtzehn Uhr, die Familie konnte
jeden Moment kommen.
Dingdong-dingdong-dingdong!
An der Haustür läutete es Sturm. Hausmann Morgenstern betätigte hastig den
Summer. Etwas nervös war er ja schon, aber auch bereit, mit Charme und viel
gutem Willen den drohenden Megaanpfiff im Keim zu ersticken. Doch es schien,
als hätten Fiona und die Jungs anderes im Kopf.
»Sag mal, was riecht denn hier so verbrannt?«, fragte
Fiona sofort, als sie in die Wohnung trat.
»Überraschung!«, konterte der Gatte betont fröhlich,
dann bat er seine Lieben feierlich zu Tisch. »Ta-ta-ta-taaaaa«, intonierte er
einen Tusch, als er erst die eine Pfanne mit den Bratkartoffeln und dann die
andere mit den knusprig-braunen Steaks zwischen die Teller wuchtete.
»Alle Achtung!« Fiona war ehrlich beeindruckt, und
Mike Morgenstern strahlte ob seines Erfolgs über beide Ohren.
Allerdings nur bis zu dem Moment, als er sich das
erste Stück Fleisch in den Mund schob. Das dicke Steak war innen vollkommen
kalt, sogar, wenn er wirklich ehrlich mit sich war, noch ein wenig eisig.
Morgensterns Reaktion war eher das Gegenteil: Auf einmal wurde ihm heiß, sehr
heiß sogar, vor allem, als Fiona und dann auch die Jungs ihre Gabeln und Messer
mit einem Gesichtsausdruck auf die Teller zurücklegten, der Bände sprach.
»Papa, das Fleisch kann man doch nicht essen«,
beschwerte sich Marius. »Und die Kartoffeln sind ganz hart und schmecken total
nach Asche.«
Fiona nickte zustimmend. Dann räusperte sie sich und
sagte: »Na ja, der Versuch war wirklich spitze, aber an den Feinheiten deiner Kochkunst
sollten wir noch mal gemeinsam feilen.«
Morgenstern tupfte sich mit einem Topflappen den
Schweiß von der Stirn. Das war wohl nicht das Gelbe vom Ei gewesen, aber Fiona
hatte ihm verziehen. Als sie aufstand, drückte sie ihm einen dicken Kuss auf die
Backe und sagte dann fröhlich: »Dann geh ich uns mal Pizza kaufen.« An der Tür
drehte sie sich nochmals um: »Nachtisch gibt’s übrigens auch – und zwar
reichlich. Wir haben einen ganzen Eimer Erdbeeren aus der Plantage mitgebracht,
selbst gepflückt!«
FÜNF
Am nächsten Morgen hatte sich der Rauch in
jeglicher Hinsicht verzogen. Morgensterns Punktekonto in der
Familiensünderkartei war wieder bei null – und das sogar, ohne dass er
medizinisch-psychologische Untersuchungen über sich hatte ergehen lassen müssen.
Er hatte Fiona alles erklärt: den mysteriösen Todesfall eines türkischen
Gastarbeiters und den Kreislaufkollaps eines bayerischen Kriminalbeamten,
sodass der Zustand seiner Gattin nun zwischen ehrlicher Sorge und kaum
verhohlener Neugierde schwankte. Zur großen Enttäuschung des Kommissars
erschien die Lokalzeitung an diesem Freitag
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