Vogelwild
nach dem Feiertag nicht. Die
nächste Ausgabe würde erst wieder morgen herauskommen, und so konnte er Fiona
die Bedeutsamkeit seiner gestrigen Steinbruchexkursion leider nicht schwarz auf
weiß unter die Nase reiben.
Voller Tatendrang fuhr er des Morgens auf der
Bundesstraße die fünfundzwanzig Kilometer hinüber nach Ingolstadt ins
Polizeipräsidium.
Als er um Viertel vor acht ankam, war noch wenig los.
Wer konnte, hatte sich den Freitag als Brückentag frei genommen, war in den
Kurzurlaub gefahren oder erholte sich sonst wo. Fronleichnam, stellte
Morgenstern fest, schien als kirchliches Hochfest in der Groß- und
Industriestadt Ingolstadt anscheinend bei Weitem nicht so hoch im Kurs zu
stehen wie in Eichstätt. Er spürte, wie ein Hauch von Hochmut in ihm hochstieg.
Er, ausgerechnet er hielt hier im Herzen Bayerns die Fahne der Tradition
aufrecht. Zur Not bis zum Umfallen.
Als er sich im Büro von Hauptkommissar Adam Schneidt,
seinem Ingolstädter Abteilungsleiter, zum Dienst meldete, war er trotzdem noch
überrascht, dass tatsächlich nur zwei Kollegen an dem kleinen Besprechungstisch
saßen, um die Aufgaben des Tages zu regeln: Albert Reigl und Peter Hecht. Da
sie Väter von erwachsenen Kindern beziehungsweise Kinderlose waren, hatten sie
auf Pfingsturlaub verzichtet. Als »Neuer« hatte es Morgenstern hingegen einfach
nicht gewagt, schon jetzt Urlaub zu beantragen.
Hauptkommissar Schneidt wusste bereits über den
Steinbruchfall Bescheid. Noch am gestrigen Abend hatte der Eichstätter
Inspektionsleiter ihm die wichtigsten Informationen telefonisch durchgegeben
und auch, wie bereits angekündigt, Morgenstern als Kripoermittler empfohlen.
»Die Spurensicherung war zwar schon draußen, aber bis
jetzt ist ihnen noch nichts Besonderes aufgefallen«, nahm Schneidt den Fall
auf. »Vielleicht wollte der Arbeiter ja bloß bei einem Spaziergang nach dem
Rechten sehen und hat dann dummerweise mit einem Stemmeisen an der Steilwand
herumgestochert, sodass der Erdrutsch ausgelöst wurde?«, mutmaßte der Chef.
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass das für uns eine große Sache wird. So
etwas passiert halt ab und an in den Brüchen.«
Morgenstern pflichtete ihm bei: »Die da oben arbeiten
ja noch wie Fred Feuerstein: nur mit Pickel und Schaufel.«
Schneidt nickte: »Da haben Sie recht, aber schauen Sie
sich die Sache trotzdem noch einmal gründlich an, damit alles seine Ordnung
hat. Bei uns ist es im Moment eh relativ ruhig, und außerdem wohnen Sie ja
gleich in der Nähe. Aber machen Sie mir dabei bloß nicht zu viel Wind, und
beunruhigen Sie mir die Türken nicht. Das sind alles brave Leute.«
»Ehrensache«, versprach Morgenstern. »Ich werde ein
bisschen nach dem Rechten sehen, ohne Staub aufzuwirbeln. Dann fahre ich am
besten gleich mal wieder rüber nach Wintershof.«
»Aber schauen Sie erst mal im Klinikum in der
Pathologie vorbei. Vielleicht hat Doktor Hagedorn ja schon irgendwelche
Ergebnisse vorliegen.«
»Aber gerne doch«, säuselte Morgenstern, obwohl das
eine glatte Lüge war. Nichts hasste er so sehr wie den klinischen Geruch nach
Formaldehyd und Glasflächenreiniger, die beige gekachelten Wände, den türkis
gepflasterten Fußboden und den Seziertisch aus Edelstahl. Das alles kannte er
schon aus Nürnberg. Er schluckte und atmete tief durch. Ihm persönlich würde es
vollauf reichen, wenn er die Obduktionsergebnisse in schriftlicher Form auf
seinen Schreibtisch bekäme. Was sollte er als Kriminalbeamter auch bei einer
Leichenbeschau? Hier im Ingolstädter Klinikum hatte es Morgenstern erst ein einziges
Mal bei einer kleinen Einführung in den Bereich der Autopsie verschlagen. Und
dessen Chef Hagedorn hatte er seither nicht mehr gesehen.
Missmutig
fuhr Morgenstern mit dem Auto hinaus zum Klinikum, das vor den Toren der Stadt
lag. Mit dem Aufzug ging es hinab in den Keller, wo Hagedorns kleines Reich
lag. Der Ermittler überraschte den Experten bei der Brotzeit: in brauner
Cordhose, weißen Birkenstock-Lederschlappen, einem handgestrickten Pullunder
und darüber einem offenen grünen Operationsmantel. Schon von Weitem konnte der
Oberkommissar den Leberkäse riechen, den sich der Leichenbeschauer zum späten
Frühstück einverleibte; doch selbst der deftige Duft der bayerischen
Standardbrotzeit konnte die so gefürchteten anderen Gerüche nicht übertünchen.
Im Gegenteil: Morgenstern befürchtete, dass sich die beiden olfaktorischen
Komponenten in seinem Hirn zu einem teuflischen Duo verbinden
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