Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vogelwild

Vogelwild

Titel: Vogelwild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Auer
Vom Netzwerk:
würden, das er
nie wieder loswerden würde. Von solchen Koppelungen hatte er schon gelesen: ein
Reiz, der plötzlich ganz andere, neue Assoziationen wachrief. Richtig, das war
doch der Pawlow’sche Hund gewesen, dem beim Glöckchenklingeln automatisch der
Sabber aus dem Maul lief, ohne dass es etwas zu fressen gab. O Gott! Wenn ihm,
Morgenstern, das jetzt mit Leberkäse und Leichenkühlraum passieren würde, dann
würde er nie wieder in seinem Leben eine bayerische Metzgerei betreten können,
dann wäre ihm ein Schicksal als Vegetarier vorherbestimmt!
    »Mahlzeit auch«, brummte er Doktor Hagedorn zu, der
sich weiter genüsslich seiner Semmel widmete. »Ich komme wegen des Türken aus
dem Wintershofer Steinbruch. Sie wissen schon, der verschüttet worden ist.
Haben Sie schon etwas herausfinden können?«
    Hagedorn nickte mampfend, konnte sich aber
leberkäsbedingt noch nicht artikulieren. Schließlich schluckte er seinen Bissen
energisch hinunter, wischte sich mit einem Zipfel seiner grünen Arbeitskleidung
den Mund ab und erhob sich von seinem mit rotem Kunstleder bezogenen
Rollhocker. Hagedorn durfte auf die sechzig zugehen, hatte einen sorgfältig
gestutzten Kinnbart, verschmitzte Augen mit vielen Fältchen drum herum und trug
eine schmale Brille, die jetzt aber an einer dünnen Kette um seinen Hals
baumelte. »Kümmern Sie sich um den Fall? Sie sind doch der Morgenstern, den die
Nürnberger uns geschickt haben?«
    Der Ermittler nickte.
    »Sehen Sie, so schnell kann’s manchmal gehen«, sagte
der Doktor, und es war zunächst nicht klar, ob er die Versetzung oder das
Wintershofer Unglück meinte. Zu Morgensterns Erleichterung schien sich der
Kommentar auf den Toten zu beziehen. »Kein schönes Sterben«, fuhr Hagedorn
fort. »Selbst wenn das Unglück an einem Arbeitstag passiert wäre und man ihn
sofort gefunden hätte, hätte keiner ihn retten können. Dafür ist das einfach zu
schnell gegangen.«
    Überraschend zauberte Hagedorn seine angebissene
Leberkässemmel aus der Manteltasche hervor: Er hob den Deckel des Brötchens ab
und klappte ihn dann mit Schwung wieder drauf. »Zu schnell«, wiederholte er,
während er mit allen fünf Fingern die Scheibe Leberkäse zwischen den
Semmelhälften zusammenquetschte.
    Morgenstern grinste bemüht. Im Gegensatz zu seinem
Kollegen konnte er solch schwarzem Humor nach Art der britischen Inseln nicht
viel abgewinnen.
    Hagedorn fühlte sich dennoch in seiner Vorführung
bestätigt. »Grundvoraussetzung meines Jobs ist es, dass ich Zufällen nicht
traue – und schon gar nicht, wenn sie tödlich enden. Deswegen habe ich mir den
Mann mal ganz genau vorgenommen. Er sieht natürlich fürchterlich aus.«
    »Natürlich«, stimmte ihm Morgenstern schnell zu.
    »Wenn eine Tonne Gestein auf Sie herunterbricht,
vielleicht waren es auch mehrere Tonnen, dann ist das aus gerichtsmedizinischer
Sicht problematisch«, begann der Doktor, ins Detail zu gehen.
    »Aha«, murmelte Morgenstern vage.
    »Da haben Sie dann jede Menge Rippen-und
Knochenbrüche, Quetschungen, Abschürfungen …«
    »Schon gut, schon gut, ich kann mir alles bildhaft
vorstellen«, unterbrach Morgenstern seine Aufzählung.
    »Ich habe mir alles sehr gründlich angesehen.«
    »Und? Gab es etwas Auffälliges?«
    Es war offenkundig, dass Hagedorn die Situation
genoss. Er biss erneut in seine Semmel, kaute, schluckte und wischte sich mit
dem Ärmel den Mund ab. »Es ist alles nachvollziehbar«, erklärte er, dann machte
er eine kurze Pause. »Bis auf eins: ein auffälliges Hämatom im Bereich des
Nackenwirbels.«
    »Ein blauer Fleck im Nackenbereich?«, fragte
Morgenstern nach.
    »Ja, und im Nacken ist so etwas gar nicht spaßig. Ich
habe es im Detail untersucht. Wahrscheinlich stammt es von einem Schlag mit
einem harten Gegenstand.«
    Morgenstern starrte den Mediziner an. In seinem Gehirn
ratterte es: »Sie wollen damit sagen, dass der Mann geschlagen wurde, bevor er
unter dem Schutt starb?«
    Hagedorn wiegte seinen Kopf hin und her. »Nun, ich
halte es für durchaus denkbar. Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen: Ich
halte es für wahrscheinlich. Wissen Sie, unser Toter hier wurde von den
Steinmassen an Kopf, Brust und Bauch getroffen, in liegender Position. Er lag
also auf dem Rücken, sofern ich das aus den Verletzungen ersehen kann.«
    Morgenstern versuchte, sich an die Bergung des
Verunglückten zu erinnern, die er aus der Ferne mitverfolgt hatte. »Sie haben
recht«, sagte er erstaunt, »der Mann hat auf dem Rücken

Weitere Kostenlose Bücher