Vogelwild
einiger Zeit habe ich in unserer Firma
eine Kunstaktion mit dem Fotoclub Weißenburg organisiert, und die besten
Ergebnisse habe ich aufgekauft. Ist doch mal was anderes als immer diese
billigen Miró-Drucke aus dem Möbelhaus. Außerdem sollte man als erdverbundene
Unternehmerin auch etwas für die heimische Kultur tun.«
Morgenstern schmunzelte heimlich in sich hinein: War
das dieselbe Frau, die vor wenigen Minuten noch ein Jammerbild der Steinbranche
entworfen hatte? Das Hungertuch, an dem angeblich alle nagten, hatte sich, wie
es schien, eine Borte aus Gold bewahrt. Jetzt erst fiel dem Oberkommissar die
Dekoration an der Wand direkt hinter dem Schreibtisch auf. Sie kam ihm bekannt
vor: Von starken Metallklammern gehalten, hing eine gut einen Quadratmeter
große, beige-braune Steinplatte am Mauerwerk. Der Stein zeigte einen sorgfältig
herauspräparierten Fisch, selbst einzelne dicke Schuppen waren deutlich zu
erkennen. Das Tier, dessen Maul mit starken Zähnen weit geöffnet war, brachte
es auf einen halben Meter Länge. Morgenstern trat heran, um sich das Fossil
genauer anzusehen.
»Gefällt er Ihnen?«, fragte Pauline Schredl.
»Sehr! Der sieht ja aus, als würde er noch leben.«
»Damit liegen Sie noch nicht einmal ganz falsch, Herr …«
»Morgenstern, Oberkommissar Morgenstern.«
»… Herr Oberkommissar Morgenstern.« Sie grinste.
»Das hier ist ein Quastenflosser. Etwa einhundertzwanzig Millionen Jahre alt.
Er stammt aus meinem eigenen Steinbruch hier in Solnhofen. Ein Arbeiter hat ihn
vor fünf Jahren gefunden. Solche Stücke sind extrem selten. Erst recht in einer
so phantastischen Qualität. Die Museen reißen sich schlichtweg drum. Das
Besondere am Quastenflosser ist nämlich, dass er noch gar nicht ausgestorben
ist. In der Südsee gibt es ihn noch heute, und dort sehen die Viecher denn auch
ganz genauso aus wie unser Kamerad hier.«
Morgenstern war beeindruckt. »Und was ist so ein
Fossil wert?«
»Nun, das kommt immer darauf an, wie gut es erhalten
ist und wie sorgfältig es herauspräpariert wurde. Aber der hier könnte auf der
großen Mineralienbörse in Frankfurt durchaus fünfundzwanzigtausend Euro
bringen.«
»Donnerwetter.« Morgenstern tat sein Erstaunen durch
einen zusätzlichen Pfiff kund, eine Angewohnheit, die seiner Gattin schon lange
auf die Nerven ging. »Eine ganz schöne Menge Holz für so ein Stück Stein. Und
Sie finden das in den Steinbrüchen so einfach nebenbei!«
»So einfach ist das nun auch wieder nicht«,
beschwichtigte die Unternehmerin. »Leider. Die guten Stücke sind extrem rar.
Kleine Fischchen, Ammoniten oder Krebse, auf die stoßen die Arbeiter täglich.
Aber einen richtigen Knüller finden sie bloß alle paar Monate.«
»Und Ihre Angestellten liefern sie dann immer bei
Ihnen ab?«, fragte Morgenstern, dessen Interesse angesichts der
fünfundzwanzigtausend Euro längst nicht mehr rein wissenschaftlicher Natur war.
»Schön wär’s. Zwar wurde in jedem Arbeitsvertrag
schriftlich fixiert, dass nennenswerte Fossilien grundsätzlich sofort bei mir
persönlich zu melden sind, und früher haben sich die meisten auch daran
gehalten, aber heutzutage müssen Sie als Steinbruchbesitzer froh sein, wenn ab
und zu pro forma ein Krümel für Sie abfällt. Und bei meinen Kollegen ist es das
Gleiche. Seit ein paar Jahren herrscht beim Fossilienfund totale Flaute, obwohl
wir immer noch genauso viele Platten wie früher abbauen. Aber heute versickern
die guten Stücke sofort in irgendwelchen dunklen Kanälen. Die Männer schmuggeln
die Sachen aus dem Steinbruch, und dann gehen die Fundstücke ruck, zuck in den
Mineralienhandel. Da besteht ja ein florierender Markt.«
»Aber das ist doch eindeutig Diebstahl und, wenn die
Sachen aufgekauft werden, auch noch Hehlerei«, empörte sich Morgenstern, dessen
Gerechtigkeitssinn auf eine harte Probe gestellt wurde.
»Sie sagen es. Natürlich ist es das«, gab Pauline
Schredl mit einem melancholischen Lächeln zurück. »Aber was sollen wir machen?
Sie waren doch gestern selber oben in den Wintershofer Steinbrüchen. Da können
Sie einfach keinen Werkschutz engagieren, der jedes Auto, das das Gelände
verlässt, mit Kofferraumkontrolle unter die Lupe nimmt.«
»Aber man wird doch mal den einen oder anderen
erwischen können?«
»Das ist sogar gelegentlich schon passiert«,
bestätigte Frau Schredl. »Und wie ging’s dann weiter? Der eine Betrieb hat den
Arbeiter an einem Tag fristlos rausgeworfen, und der andere hat ihn am
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