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Vogelwild

Vogelwild

Titel: Vogelwild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Auer
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Überraschung war komplett, als er das Büro der
Chefin betrat. Mit diesem Anblick hatte er in dem Umfeld nicht gerechnet:
Pauline Schredl war eine gut aussehende, blonde Frau um die fünfunddreißig und
hatte sich ihr Reich stilsicher und mit viel Liebe eingerichtet.
    An den Wänden hingen großformatige, geschmackvoll
gerahmte Schwarz-Weiß-Fotos aus der Welt der Steinbrüche. Ein Profifotograf
hatte verschiedenste Details wie Steinformationen oder Ausschnitte eines
riesigen, kreisrunden Sägeblatts aufgenommen. Mehrere Grünpflanzen verliehen
dem Büro in der sommerlichen Hitze eine wohltuende Frische, der Schreibtisch
aus hellem Birkenholz war über drei Meter lang, und auf der Ablagefläche
herrschte eine Ordnung, wie sie sich Morgenstern immer wieder für seinen
eigenen Arbeitsplatz vornahm, aber nie durchhielt.
    Pauline Schredl, die in Akten geblättert hatte, erhob
sich, als ihr Gast eintrat, und ging auf ihn zu: »Guten Tag, Schredl, was kann
ich für Sie tun?«
    »Mein Name ist Mike Morgenstern von der Kripo
Ingolstadt. Ich komme wegen des Unfalls in Wintershof.«
    »Ja, mein Gott. Eine wirklich schreckliche Sache. Der
arme Herr Önemir! Wissen Sie, wir hatten in der Firma seit einundzwanzig Jahren
nichts Ernsteres mehr. Ein abgeschnittener Daumen hier, ein gequetschter Zeh
da, solche Sachen halt, das passiert schon mal, aber doch nicht so etwas! Dass
einer stirbt! Ich habe heute Morgen schon mit dem Naturstein-Verband
telefoniert, auch da kann sich keiner mehr dran erinnern, wann der letzte
tödliche Unfall passiert ist.«
    »Ja, das habe ich schon gehört.«
    »Dann können Sie sich ja bestimmt auch vorstellen, was
jetzt wieder losgehen wird: Die Berufsgenossenschaft wittert Morgenluft, die
macht uns allen die Hölle heiß. Da werden ganze Litaneien von Forderungen
wieder heruntergebetet: Steinbrüche einzäunen, ordentliche Toiletten für die
Arbeiter, natürlich getrennt nach Männlein und Weiblein, vielleicht noch
fließend kaltes und warmes Wasser. Dann der Jugendschutz wegen der Kinder, die
bei den türkischen Familien manchmal dabei sind! Und wer soll den ganzen Wahnsinn
bezahlen? Der Unternehmer natürlich, der hat’s ja! Unserer Branche geht es
nicht gut, alle kämpfen ums Überleben. Wissen Sie, bis wohin mir das manchmal
steht? Bis hier oben«, wetterte Pauline Schredl und deutete mit der Handkante
eine magische Linie an ihrem Hals an.
    Morgenstern war einen Moment lang sprachlos. Einen so
emotionalen Ausbruch hatte er von der zierlichen Frau in ihrem dunklen
Hosenanzug nicht erwartet. Mit der Vermutung von sozialer, weiblicher
Herzenswärme hatte er wohl vollkommen falschgelegen, stattdessen schlug ihm
knallharte Unternehmermentalität entgegen.
    »Aber es ist Ihnen schon klar, dass wir der Sache
nachgehen müssen?«, formulierte er vorsichtig. »Es gibt da noch ein paar Fragen
zu klären. Wissen Sie denn etwas über die Lebensumstände von Herrn, wie hieß er
gleich?«
    »Önemir, Mustafa Önemir.«
    »Genau. Kennen Sie eigentlich alle Arbeiter mit vollem
Namen?«
    »Nicht alle, aber die wichtigsten schon.«
    »Und Herr Önemir war einer der wichtigen?«
    »In gewisser Hinsicht, ja. Wissen Sie, die Familie
Önemir ist riesig, alle kommen aus derselben kleinen Stadt irgendwo in
Anatolien. Mustafa gehört zur zweiten Generation, gehörte, meine ich natürlich.
Er sprach fließend Deutsch, war fleißig und gut im Organisieren. Deswegen ist,
äh, war er für uns ein wichtiger Ansprechpartner. Eine Art Mittelsmann, wenn
Sie verstehen.«
    »Natürlich. Hatte Herr Önemir eine Frau?«
    »Nicht dass ich wüsste. Ich glaube, er wohnte alleine
in einem kleinen Haus in Eichstätt.«
    »Wenn er also für seine Landsleute so wichtig war,
denken Sie, dass er auch Feinde hatte?«
    »Worauf wollen Sie denn jetzt hinaus? Ich dachte, es
sei ein Unfall gewesen, oder nicht?«, fragte Pauline Schredl vorsichtig.
    »Wahrscheinlich schon, aber wir müssen natürlich alle
Eventualitäten überprüfen«, wand sich Morgenstern wie ein Aal. »Das gehört zu
unserem Job.«
    »Feinde …? Ich weiß nicht recht, wir hatten auf jeden
Fall keine Probleme mit ihm, bloß die üblichen Kleinigkeiten. Was die
Beliebtheit bei seinen Landsleuten angeht, dazu kann ich nichts sagen. Die
Vermutung liegt nahe, dass er angesehen war. Er hat sich auch stark im
türkischen Verein engagiert.«
    Es entstand eine Stille. Morgenstern, der nicht mehr
recht weiterwusste, blickte sich im Büro um. »Schöne Fotos haben Sie da.«
    »Danke. Vor

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