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Vogelwild

Vogelwild

Titel: Vogelwild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Auer
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Gläser ein, reichte ihnen Würfelzucker und
zierliche Löffelchen zum Umrühren und erläuterte währenddessen den anderen kurz
in türkischer Sprache, worum es ging. Nach zwei, drei Rückfragen, ebenfalls auf
Türkisch, nickten alle den beiden aufmunternd zu. Morgenstern stellte sich und
Hecht kurz vor, bevor er in die Offensive ging: »Wir wollen uns einfach
versichern, dass Herrn Önemirs Tod im Steinbruch wirklich ein Unfall war, wir
haben da unsere Vorschriften. War Herr Önemir eigentlich vermögend?« Fragende
Blicke zeigten dem Oberkommissar, dass er seine Fragen vielleicht etwas weniger
gedrechselt formulieren sollte. »Ich meine Geld, Euro. War Herr Önemir reich?«,
wiederholte er also in etwas abgewandelter Form und rieb zum besseren
Verständnis Daumen, Zeige-und Mittelfinger aneinander.
    Ein Türke von vielleicht fünfzig Jahren mit
abgewetztem, dunkelblauem Sakko, braun gebranntem Gesicht und buschigem,
dunklem Schnauzbart erwiderte nach kurzem Blick auf die anderen fast
akzentfrei: »Wir verstehen schon, keine Sorge. Weißt du, Mustafa war reich, er
hatte mehr Geld als wir fünf zusammen. Er war finanziell sehr schlau, weißt du.
Mustafa hat sein Geld gut angelegt. Er hat ein uraltes Haus billig gekauft, ein
bisschen hergerichtet, in Wohnungen aufgeteilt und dann an Leute vermietet, die
grad aus der Türkei kamen. Die Ansprüche der meisten sind da nicht so hoch,
weißt du. Dann hat Mustafa ein Haus nach dem anderen gekauft. Er hat auch Geld
verliehen, als Kredit. Aber nur an Türken.«
    »Und das hat immer geklappt?«, schaltete Hecht sich
nun ein.
    »Nein, aber das hat Mustafa nichts ausgemacht, weißt
du. Ein paar Jüngere haben geglaubt, sie könnten sich für die Spielhalle gleich
in der Nachbarschaft ein bisschen Geld leihen, zum Pokern und so. Aber sie
haben alles verloren.«
    »Und wie hat Herr Önemir reagiert?«, wollte
Morgenstern wissen.
    »Als sie ihre Schulden nicht zurückzahlen konnten, hat
Mustafa sie zu sich nach Wintershof in den Steinbruch geholt. Jeden Samstag
mussten sie für ihn arbeiten, bis eben die Schulden dadurch abbezahlt waren.«
    Morgenstern runzelte die Stirn: »Aber wenn er so viel
Geld besaß, warum schwitzte Önemir noch jeden Tag oben im Steinbruch? Da zu
arbeiten, das ist doch Zuchthausarbeit.«
    Ein jüngerer Türke, etwa fünfundzwanzig Jahre alt,
fuhr auf: »Was, Zuchthausarbeit? Bist du verrückt? Das ist gute Arbeit. Aber
ihr feinen Deutschen«, er setzte einen verächtlichen Blick auf, »ihr seid euch
doch zu vornehm dafür. Ihr müsst froh sein, dass ihr uns habt!«
    Morgenstern wurde rot. Das war ihm einfach so
herausgerutscht. Nicht gerade professionell, wenn man bedachte, dass seine
Gesprächspartner zumindest zum Teil ihr Brot in den Brüchen verdienten. Und
zwar rechtschaffen. »Tut mir leid, das habe ich nicht so gemeint.«
    »Wie hast du es denn gemeint?«, gab der junge Türke
patzig zurück.
    Hecht rettete die Situation. »Mein Kollege meinte nur,
dass Herr Önemir keine harte körperliche Arbeit mehr hätte leisten müssen, wenn
er doch über ein Vermögen verfügte. Warum war er also trotzdem noch jeden Tag
oben im Steinbruch?«
    »Es hat ihm einfach gefallen«, sagte der
fünfzigjährige Türke mit dem dunkelblauen Sakko. »Es ist schön da, weißt du. Im
Sommer fängt man schon gleich nach Sonnenaufgang mit der Arbeit an, dann ist es
noch kühl. Und wenn es heiß wird, dann hört man auf. Man lebt mit der Natur, man
spürt das Wetter. Und wenn es zu ungemütlich ist, kann man unter dem Winterdach
arbeiten. Du weißt, was das ist, ein Winterdach?«
    »Ja«, sagte Morgenstern mit leichtem Stolz und
erinnerte sich an seine Durchsuchungsaktion.
    »Oben in den Steinbrüchen sind wir Türken fast nur
unter uns«, mischte sich jetzt auch Hasan Murgal ein. »Da ist es wie in der
Türkei. Ich kenne Leute, die haben sich dort oben sogar Paprika angepflanzt,
und die Frauen nehmen ihre Babys mit. Das ist wie daheim auf dem Dorf.«
    Jetzt singen sie bestimmt gleich die türkische
Nationalhymne, dachte Morgenstern, dem der Patriotismus am Tisch allmählich zu
viel wurde. Schließlich wollte er etwas über den Toten wissen. »Sie haben
vorhin gesagt, dass manche Ihrer Landsleute Kredite bei Herrn Önemir aufnahmen.
Wissen Sie, wer von denen besonders hohe Schulden bei ihm hatte?«
    Der junge Türke, der eben noch so hitzig aufgefahren
war, blickte sich in der Runde um. Es folgte ein kurzes Gespräch auf Türkisch,
dann wandten sich wieder alle den Ermittlern

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