Vogelwild
beiden der Eichstätter.«
»Ich und ein Eichstätter, dass ich nicht lache!«
Morgenstern schüttelte den Kopf. »Als Eichstätter wirst du nur geboren, aber
noch besser ist es, wenn du einen reinblütigen Eichstätter Stammbaum bis zum
Uropa nachweisen kannst.«
Also entschlossen sich Morgenstern und Hecht, die
Kollegen der Eichstätter Polizeiinspektion zu kontaktieren. Die
Eichendorffstraße, so stellte sich heraus, lag gleich neben deren Büros.
Ortsrandlage sozusagen, nahe der städtischen Kläranlage, wo die Stadt vor
Jahrzehnten den sozialen Wohnungsbau angesiedelt hatte. Ein Dutzend
dreistöckige Wohnblocks mit angegrautem Verputz reihte sich an einer Ringstraße
entlang auf. Am äußersten Ende hatte man der Neuzeit Tribut gezahlt: Die
Beamten sahen sich einer in zartem Pastellrosa gehaltenen Anlage gegenüber,
deren Architekten zweifelsohne bei der Planung auf einen Designerpreis
spekuliert und ihn mutmaßlich auch erhalten hatten. Als sie an ihr vorbeifuhren,
fiel Morgenstern auf, dass es sich um die Art von Rosa handelte, mit der in den
vergangenen Jahren auch in den neuen Bundesländern die Plattenbauten
aufgehübscht worden waren, falls man sie nicht doch lieber mit einer tüchtigen
Ladung TNT »zurückgebaut« hatte.
Als
Akatoblus exakte Adresse hatten sie von den Kollegen die Eichendorffstraße 37 c genannt bekommen. Nachdem sie auf der
Suche danach bereits ein Mal vergeblich die ganze Siedlung umrundet hatten,
wurden sie im zweiten Anlauf fündig. 37 c
war ein grauer Block mit neu eingebauten weißen Plastikfenstern und vier
Hauseingängen an der Nordseite. Morgenstern parkte den zivilen Polizeiwagen,
einen hellblauen Audi, dreißig Meter entfernt. Es musste ja schließlich nicht
gleich jeder sehen, dass sich Besuch ankündigte. Hecht postierte sich vor der
Haustür, während Morgenstern einen Blick auf die Südseite des Hauses warf:
überall schmucklose Balkone, die offensichtlich nur zwei Zwecken dienten, als
Platz, um frisch gewaschene Unterwäsche zum Trocknen aufzuhängen, und als
Montagefläche für eine möglichst große Satellitenschüssel. Die ganze
Hausfassade war mit diesen Segnungen der modernen Kommunikationstechnik
übersät. Im dritten Stock ganz rechts wurde ein Balkon immerhin noch
anderweitig genutzt: Ein dicker Mann um die fünfzig lehnte sich im weißen
Unterhemd übers Geländer, rauchte eine Zigarette und blickte gelangweilt zu dem
Besucher hinab, der in Jeans, Turnschuhen und T-Shirt für niemanden als
Polizeibeamter zu identifizieren war.
Der Oberkommissar kehrte an die Eingangsseite zurück.
Falls Ali im Erdgeschoss wohnte, könnte er im Fall der Fälle mit einem kleinen
Sprung über sein Balkongeländer türmen. Aber das Risiko mussten sie wohl
eingehen. Auf den Klingelschildern des Eingangs 37 c fanden sich vier Namen: Zwei deuteten auf
Russlanddeutsche hin, einer – Rosa Aurich – auf eine alleinstehende Dame. Mit
etwas Anstrengung entzifferte Morgenstern ein nur mit einem Kugelschreiber
hingekritzeltes » AKATOBLU A. «.
»Ran an die Buletten«, freute sich Hecht, und
Morgenstern drückte energisch auf den Klingelknopf. Mit wachsender Spannung
lauschten beide auf Geräusche. Das war einer dieser Momente, an die Morgenstern
sich wohl nie gewöhnen würde: dieses bange Warten, bevor sich eine Tür öffnete
und ihr Geheimnis preisgab.
Oder eben auch nicht. Als sich nichts rührte, schellte
Morgenstern erneut, diesmal jedoch länger. Hecht zählte langsam bis dreißig,
dann ließen sie es noch einmal läuten – und zwar Sturm. Die Klingel war intakt,
so viel war klar: Das Schrillen war bis nach draußen zu hören.
»Und was machen wir jetzt?«, fragte Hecht, als er
erneut bis dreißig gezählt und sich nichts getan hatte. »Auf hundert erhöhen?«
Ratlos starrte Morgenstern auf das Klingelschild.
»Entweder ist er ausgeflogen, oder er malocht gerade oben im Steinbruch. In dem
Fall müssen wir wohl wieder mal ins Gelände.«
In diesem Moment öffnete sich im zweiten Stock ein
Fenster, und eine Frau um die achtzig lehnte sich heraus. »Hallo, wen brauchen
wir denn?«
Morgenstern musterte die Dame: Blass geschminktes
Gesicht, dunkelrote Lippen, im Haar Lockenwickler und im Wesentlichen mit einer
dunkelblau geblümten Kittelschürze bekleidet, die ihre nackten Oberarme leider
nicht bedeckte. Früher mussten die Arme der Alten muskulös gewesen sein, heute
waren sie zwar immer noch mächtig, aber ausschließlich wabbelig und kraftlos.
»Wir hätten gerne den
Weitere Kostenlose Bücher