Vogelwild
hatte.
»Vierhundert Mitarbeiter!« Morgenstern staunte nicht
schlecht. »Dazu eine Filiale in Hoyerswerda, und Geschäfte in Indien und
Brasilien macht er auch noch.«
»Diese kleinen Handwerksbetriebe sind alle gemeinsam
mit Audi groß geworden«, erläuterte Hecht. »Ohne Automobilindustrie säße auch
der Krawinkel noch immer in seiner alten Schmiede auf dem Dorf und würde
Bulldogs von Bauern und Kinderfahrräder reparieren.«
»Na ja, nach einem Traktorenschrauber sieht er heute
echt nicht mehr aus«, stimmte Morgenstern dem Kollegen zu, als er auf das Foto
des Seniorchefs Friedrich Krawinkel stieß. Der etwa fünfundsechzigjährige Herr
im dunkelblauen Anzug mit Admiralsknöpfen und lachsfarbener Krawatte blickte
unter seinem grauen Seitenscheitel überraschend streng in die Kamera. Darunter
fand sich ein Porträt von Friedrich »Fritzl« Krawinkel junior, der als
designierter Nachfolger präsentiert wurde und seine etwas füllige Figur für den
Fotografen ebenfalls in einen Anzug gezwängt hatte.
»Fritzl – das geht doch nicht. Der Kerl ist bestimmt
schon fünfunddreißig, heißt wie sein alter Herr und muss sich überall Fritzl
nennen lassen, damit man ihn vom Papa unterscheiden kann. Der Arme!
Wahrscheinlich wird er mit dem Namen leben müssen, bis er selber Opa ist.«
Morgenstern hatte mal wieder einen unwichtigen Grund gefunden, um sich
aufzuregen.
»Jetzt hab dich doch nicht so«, schritt Hecht ein.
»Mein Vater, Gott hab ihn selig, hat auch Peter geheißen – und mein Großvater
auch, wenn du’s genau wissen willst. Ist doch schön, wenn man in einer
Tradition steht.«
»Peter geht ja noch, aber Fritzl statt Friedrich ist
schon ein ganz schöner Hammer, und allein deswegen tippe ich darauf, dass der
Alte in seiner GmbH so schnell die Zügel nicht aus der Hand geben wird.«
»Wie heißt eigentlich dein Vater?«, wollte Hecht nun
wissen.
Morgenstern brummelte etwas schwer Verständliches,
aber sein Kollege ließ nicht locker: »Jetzt rück schon raus damit, Mike.«
»Adi«, sagte Morgenstern kleinlaut. »Und um ganz genau
zu sein, Adolf. Kein Name, den man nach dem Krieg noch guten Gewissens
weitervererben konnte.«
»Da wäre mir Mike auch lieber«, nickte Hecht
zustimmend.
»Ich rufe diesen Senior-Krawinkel jetzt einfach an und
vereinbare einen Termin«, erklärte Morgenstern und wählte auch schon die
Nummer.
Krawinkel senior sei gerade in einer Besprechung,
erfuhr der Oberkommissar, nachdem er zur Chefsekretärin durchgestellt worden
war, und anschließend würde er sich zum Mittagessen nach Hause begeben.
»Dann könnten wir ja gleich persönlich bei ihm zu
Hause vorbeischauen«, schlug Morgenstern vor. »Wo wohnt er denn?«
»Ich weiß nicht, ob ich Ihnen das sagen darf.« Die
Sekretärin war unsicher. »Um was geht es denn?«
»Das wiederum darf ich Ihnen nicht sagen«, erwiderte
Morgenstern knapp. »Aber nur so viel: Es ist sehr dringend.«
Die Frau zögerte noch immer: »Dann muss ich erst
Rücksprache halten. Ich lege Sie mal schnell um.« Morgenstern, der den
Lautsprecher des Telefons eingeschaltet hatte, grinste Hecht breit an. Auch
beim hundertsten Mal konnte er sich über die Standardformulierung am Telefon, er
werde jetzt »umgelegt«, wie ein Kind amüsieren.
Nach einer schier endlosen Minute meldete sich die
Sekretärin zurück: »Oberkommissar Morgenstern? Herr Krawinkel lässt ausrichten,
dass er Sie in einer Stunde in seinem Haus in der Gerolfinger Straße erwartet.«
»Gerolfinger Straße«, wiederholte Morgenstern und
kritzelte die Adresse auf seine Schreibtischunterlage. »Haben Sie vielen Dank,
vor allem dafür, dass ich noch lebe.«
»Wie bitte?«, klang es irritiert aus dem Hörer.
»Na, Sie wollten mich doch umlegen?«, erwiderte
Morgenstern fragend und packte dabei entschieden zu viel Schmalz in seine
Stimme. Es dauerte einen Moment, bis auf der anderen Seite der Groschen
gefallen war, doch dann begann die Sekretärin zu kichern, und Morgenstern
beendete wieder einmal in der Überzeugung ein Gespräch, dass er durchaus
Qualitäten als Telefoncharmeur besaß.
»Eine piekfeine Gegend ist das«, sagte Hecht, als sie
wieder an seinem Schreibtisch hockten. »Da wohnen die Geldigen von Ingolstadt
und haben ihre Ferraris in der Garage stehen. Unser Herr Krawinkel hat es zu
etwas gebracht und will das anscheinend auch nicht verheimlichen.«
»Ist doch schön, dass wir auch mal sehen dürfen, wie
die oberen Zehntausend wohnen«, gab Morgenstern zurück. »Vor
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