Vogelwild

Wissenschaftler finden da anscheinend kein Ende.«
Die Führerin räusperte sich. »Sie haben also jetzt mit eigenen Augen sehen
können, dass der Archaeopteryx ein Zwitter ist: nicht mehr ganz Reptil und noch
kein perfekter Vogel. Er ist ein Zwischending, und deswegen ist er der Kronzeuge
der Evolutionstheorie.«
    Bastian meldete sich, als wäre er in der Schule:
»Konnte der Urvogel eigentlich gut fliegen?«
    »Darüber kann sich die Wissenschaft nicht einigen«,
meinte die Expertin, »aber zumeist geht man heute davon aus, dass er wohl eher
ein schlechter Flieger war, der seine Flügel vor allem zum Gleitflug benutzt
hat. Mithilfe seiner scharfen Krallen kletterte er auf Bäume und schwebte dann
von den Ästen aus durch die Luft.« Sie deutete in den nächsten Saal. »Aber
bevor wir uns hier noch zu sehr in die Theorie verstricken, sollten wir lieber
zu unseren großen Meerwasseraquarien hinübergehen. Mit ihnen haben wir ein
Stück Bahamas nach Eichstätt geholt. Da können Sie sich ein gutes Bild davon
machen, wie es vor hundertfünfzig Millionen Jahren um das Altmühltal herum
ausgesehen hat.«
    Nach
einer weiteren Stunde verließen die Morgensterns wieder das Museum. Beim
Hinausgehen entdeckten Marius und Bastian im Museumsshop kleine Fossilien.
»Papa, dürfen wir welche haben? Bitte?«, bettelte Bastian.
    Morgenstern schüttelte entschieden den Kopf. »Kommt
gar nicht in Frage. Wenn ihr Fossilien wollt, dann suchen wir uns selber welche
im Hobbysammlersteinbruch. Das ist doch viel authentischer.« Plötzlich fiel im
sein Besuch im Steinwerk in Solnhofen wieder ein. Er hatte doch noch die
polierten Ammoniten aus dem Schredl-Werk im Auto liegen! »Aber wenn ihr
unbedingt eine Versteinerung wollt, dann habe ich tatsächlich was Tolles für
euch«, verkündete er. »Zwei Ammoniten. Aber die gibt’s erst heute Abend.«
    »Bah«, machte Marius abwertend, »wen interessieren
schon Ammoniten. Erst bei Fischen wird es doch interessant.« Wie zur
Bestätigung deutete er begeistert auf einen Gipsabguss des Archaeopteryx, der
im Shop angeboten wurde und sich durch seine sorgfältige Bemalung kaum vom
Original unterschied. »So einen will ich haben, keine läppischen Ammoniten!«
    Morgenstern tippte sich an die Stirn: »Dir geht’s wohl
zu gut? Das Ding kostet hundertvierzig Euro, das Preisschild kannst du ja wohl
lesen. So weit geht meine Liebe zur Naturwissenschaft dann doch nicht.« Und
damit wandte er sich zur Ausgangstür. »Für heute habe ich jedenfalls genug
gelernt.«
    Wie
er es sich am Vormittag vorgenommen hatte, machte er sich mit Marius und
Bastian zum Essen beim Eichstätter McDonald’s auf. Das Schnellrestaurant lag
direkt zu Füßen der Willibaldsburg an der Bundesstraße, auf der sich unablässig
der Verkehr in Richtung Weißenburg und Ingolstadt durch den Ort wälzte. Zu
einer Umgehungsstraße hatten es die Eichstätter bisher noch nicht gebracht. Den
Besuch beim Burger-Brater widmete der Oberkommissar seinem frotzelnden
Vorgesetzten Schneidt, diesem Schuft, der den Morgensterns so dreist mangelnde
Allgemeinbildung unterstellt hatte. Egal, dachte sich Morgenstern, immerhin
wusste er über den Archaeopteryx jetzt so viel wie das ganze Polizeipräsidium
Oberbayern-Nord zusammen. Und sogar noch ein paar Dinge mehr als diese superschlaue
Führerin, freute er sich insgeheim.
    Der Ermittler geriet in Hochstimmung: Das
Schnellrestaurant war in vielfacher Hinsicht ganz nach seinem Geschmack. Hier
hatte er sich weder für Turnschuhe oder etwaige Cowboystiefel zu rechtfertigen,
noch musste er sich in die Finessen der regionalen Küche einarbeiten. Wenn er
schon »Altmühltaler Lamm« hörte, das hier überall in den Wirtshäusern angeboten
wurde! Das war definitiv nichts für Menschen wie Morgenstern. Ein Steak mit
Pommes, okay, dafür war er zu haben, eine gute Currywurst, jederzeit. Oder die
guten fränkischen Bratwürste, lecker! Genauso wie ein Hamburger oder ein
Cheeseburger mit Cola, die echte – mit Zucker. So ein Menü wurde den Männern
der Familie allerdings nur selten gewährt: Fiona hatte ein waches Auge darauf,
dass sich ihre Jungs, und ihren Gatten zählte sie dazu, »anständig ernährten«,
wie sie es formulierte. Aber heute hatte sie ja Besseres zu tun. Bestimmt
bugsierte sie gerade einen Autoanhänger voller Kanus an der Altmühl entlang.
    Morgenstern ließ sich ein Essenstablett vollpacken und
steuerte damit, gefolgt von seinen Kindern, einen der Tische im hinteren
Restaurantbereich an.